George Grosz (1893-1959) gehört zu jenen Künstler:innen, die das kollektive Gedächtnis der Weimarer Republik mitgeprägt haben. Er ist jedoch keinesfalls ein Chronist seiner Zeit, denn der Künstler zeigt keinen objektiven Blick: Seine pessimistische Grundhaltung, seine Abscheu gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft einer Zeit, die wir heute als „Goldene Zwanziger“ kennen, ist voller Wut und Verachtung. Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt nun in einer Ausstellung die Berliner Jahre des Künstlers George Grosz und betitelt sie mit „Glitzer und Gift der Zwanzigerjahre“.
Der Mythos eines goldenen Jahrzehnts
Auf einer glitzernden Wand im ersten Raum der Ausstellung läuft ein Schwarz-Weiß-Video, in dem mit Federboas geschmückte Frauen das Tanzbein schwingen. Die Goldenen Zwanziger – eine schillernde, aufregende Zeit – ein Mythos. In Berlin tobte das Leben. Die Hauptstadt wird nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Spanischen Grippe Sehnsuchtsort und Anziehungspunkt nicht nur für Kunstschaffende und Intellektuelle. Die moderne wie kreative Energie faszinierte. Doch auch schon für die Zeitgenoss:innen war dieses Gefühl widersprüchlich. Die ersten Jahre der Weimarer Republik waren nämlich auch geprägt von politischer Gewalt, Massenarmut und Inflation. George Grosz lüftet den glitzernden Vorhang dieses Jahrzehnts und zeigt in seinen vorwiegend zwischen 1917 und 1933 entstandenen Werken satirisch und rabiat zugleich die Realität seiner Zeit.
Kriegstraumata und „Deutschenhass“
Die Kriegserfahrung des Ersten Weltkrieges prägt, wie viele Männer seiner Generation, auch George Grosz. Es wird zum Leitthema und Ausgangspunkt seines künstlerischen Schaffens. Er ist Kriegsgegner und seine antimilitaristische Haltung zeigt er – auch Jahre nach Ende des Krieges – in seinen Arbeiten. Der kurze Fronteinsatz, bei dem er das Kriegsgrauen mit eigenen Augen sah, schürt seinen Hass auf das kriegsführende Deutschland. Dies schlägt sich nicht zuletzt in einer Änderung seines Namens 1916 nieder. Georg Groß wählte mit George Grosz eine anglisierte Schreibweise.
Krieg, Kaffeehaus, Lustmorde und Stadtszenen als künstlerische Themen
George Grosz blickt unbarmherzig auf das gesellschaftliche Leben. Es spielte sich in Kaffeehäusern ab. Als regelmäßiger Besucher der Berliner Kaffeehäuser dokumentiert Grosz das Zusammentreffen verschiedener gesellschaftlicher Schichten und sozialer Gruppen. Dort beobachtet und skizziert er die Menschen und das Leben in der als Moloch empfundenen Großstadt. Auch das Thema der Prostitution greift Grosz immer wieder auf. Er illustriert seine Abneigung gegen eine von ihm als scheinheilig empfundene Welt und demaskiert die Gesellschaft der Weimarer Republik. Das negative Menschenbild wird in allen Kapiteln der Ausstellung, die in Themenräume eingeteilt ist, deutlich. Die Besucher:innen können sich durch die in den Ausstellungsräumen gezeigten Stadtszenen des Films Berlin – Die Sinfonie der Großstadt von Walther Ruttmann aus dem Jahr 1927 auch in bewegten Bildern einen Eindruck machen.
Wenig Glitzer, nur Gift
Die Ausstellung konzentriert sich auf die bissigen Jahre des Künstlers. Wenig Glitzer, nur Gift. Um seine Werke, seinen kritischen Blick auf die Gesellschafsthemen, gab es mehrere Gerichtsprozesse wegen Blasphemie und Beleidigung der Reichswehr. Das Thema der Kunstfreiheit schwingt so in der ganzen Ausstellung mit. Auch die Entwicklung des Stils des Künstlers wird durch die Ausstellung nachgezeichnet. Mit der Machtergreifung Hitlers flieht George Grosz als „entarteter Künstler“ in die USA. Doch auch schon in den Jahren vorher ebbt sein Hass ab. Der scharfe Strich, mit dem er die deutsche Gesellschaft in den „Goldenen Zwanzigerjahren“ gezeichnet hat, ging langsam verloren. Sein unerbittlicher Blick fasziniert noch heute. „Ich … versuchte durch meine Arbeiten die Welt zu überzeugen, dass diese Welt hässlich, krank und verlogen ist.“ Davon können sich nun die Besucher:innen selbst ein Bild machen.
Von New York nach Stuttgart
Die Ausstellung wurde ursprünglich unter dem Titel „The Relentless Eye: George Grosz in Berlin“ für das Metropolitan Museum of Art in New York geplant, musste dort aber pandemiebedingt abgesagt werden. Die Staatsgalerie Stuttgart bringt die Schau nun nach Stuttgart und erweitert die rund 100 gezeigten Werke durch neue Akzente. So ist George Grosz nicht nur das erste Mal seit 1995 in einer ihm gewidmeten Ausstellung wieder in Stuttgart zu sehen. Auch Gemälde, die jahrzehntelang oder noch nie in Europa präsentiert wurden, sind nun zu erleben. Die Ausstellung zeigt neben 13 Gemälden vor allem Zeichnungen und Druckgrafiken, die aus öffentlichen und privaten Sammlungen in Europa und den USA stammen, und ergänzt sie durch Werke aus dem eigenen Bestand.
Zu sehen ist das „Glitzer und Gift der Zwanzigerjahre“ noch bis zum 26. Februar 2023. Zeitgleich zeigt die Staatsgalerie in ihrem Graphik-Kabinett Radierungen des französischen Künstlers Georges Rouault, die während des Ersten Weltkrieges entstanden.