„I do if I don’t“ – Tobias Rehberger im Kunstmuseum Stuttgart

Der deutsche Bildhauer Tobias Rehberger ist für seine raumfüllenden Installationen bekannt und ruft die Betrachter:innen zur Partizipation an seinen Werken auf, wodurch sie vervollständigt werden und ihre Bedeutungsebene entfalten. 

„I do if I don’t“ – Tobias Rehberger im Kunstmuseum Stuttgart

Der deutsche Bildhauer Tobias Rehberger ist für seine raumfüllenden Installationen bekannt und ruft die Betrachter:innen zur Partizipation an seinen Werken auf, wodurch sie vervollständigt werden und ihre Bedeutungsebene entfalten. 

Als ich im Auto sitze und nach Stuttgart fahre, überlege ich, wie interessant sich manche Dinge entwickeln. Genauso wie der Künstler komme ich aus Esslingen, fahre nun zu seiner Einzelausstellung in Stuttgart und darf ihn kennenlernen.

In den Ausstellungsräumen angekommen, ziehen mich die bunten und blinkenden Skulpturen in den Bann. Wo soll ich zuerst hinschauen? Je länger ich hinschauen, desto mehr entdecke ich! 

Tobias Rehberger in der Ausstellung „I do if I don’t“

Material und Message

Papier, Holz, Keramik, Blumen, Silikon, Gummi, Aluminium, Neonröhren oder 3D-Druck – Tobias Rehbergers Installationen sind in der Materialauswahl sehr vielfältig. Anfangs wirken die Arbeiten durch ihre fröhliche äußerliche Erscheinung leicht zugänglich und verständlich. Die Werke sind grell, auffällig und in knalligen Farben. Doch die genauere Betrachtung revidiert den ersten Eindruck. Die Themen umfassen Phänomene des Alltags, der kulturellen Unterschiede sowie die globale politische und wirtschaftliche Lage. Die fröhlichen und bunten Werke erzählen tiefgründige Geschichten.  

Ausstellungsansicht Kunstmuseum Stuttgart. © Natalie Savas

Die Ausstellung „I do if I don’t“ vereint und zeigt zentrale Werkgruppen und Themenkomplexe aus Rehbergers Œuvre. Bestehende Werke werden bei Rehberger immer wieder neu interpretiert und weitergedacht, rekapituliert und modifiziert. So werden sie in Ausstellungssituationen neben neuen Arbeiten platziert oder ortsspezifisch angepasst. 

Maintenent, Megalopolis, Metropolis – Die Fassade des Kunstmuseums Stuttgart 

Für jede Ausstellung gestaltet das Kunstmuseum Stuttgart die Fassade neu und lässt schon von der Ferne erkennen, welche Ausstellung aktuell im Kubus zu sehen ist. Außergewöhnlich nackt ist die Fassade des Kunstmuseums bei „I do if I don’t“. Kein Schriftzug, k(l)eine Hinweise auf die laufende Ausstellung.  

Man muss bei Tageslicht schon genauer hinschauen, was sich hinter der Glasfront verbirgt. Bei einbrechender Dämmerung wird es schon leichter. Blinkende und bunte Elemente, Worte wie „MAINTENENT“ und „MEGALOPOLIS“ und „METROPOLIS“ strahlen als große Lichtinstallation, die über die drei Etagen der Fassade zur Königsstraße verläuft, dem Publikum entgegen. 

Fassadenansicht Kunstmuseum Stuttgart. © Natalie Savas

Die Installation ist eine Kombination der Lichtarbeiten „Free Coffee Free Parking Freedom“ (2018) und „Passage vu à travers un Point d’observation“ (2016). Diese wurden bereits in Shanghai und Paris gezeigt, doch für Stuttgart zu einer Arbeit zusammengefügt. Dabei stand das Publikum im Mittelpunkt. Auf dem Vorplatz des Kunstmuseums Stuttgart ist ein Pult installiert, von dem aus Passant:innen mithilfe eines Smartphones und Musik einzelne Leuchtelemente ansteuern können. Im Rhythmus der Musik pulsiert die Installation.  

Der partizipatorische Ansatz wird hier in den Alltagsraum gebracht. Tobias Rehbergers Kunst spricht an diesem Punkt Menschen im Vorbeigehen an, die die Ausstellung nicht besuchen. Die Aktivierung der Passant:innen ermöglicht Allen die Teilhabe an der Kunst.  

Eine weitere Besonderheit im Außenbereich des Museums finden wir in der Installation „Ads“. Dieser Teil der Außenfassade wird zum ersten Mal künstlerisch bespielt. Mit „Ads“ führt Rehberger seine Plakatserie an der Fassade des Kunstmuseums fort. Die Plakate stellen inoffizielle Werbeplakate für Marken und Geschäfte dar und spiegeln Rehbergers Haltung diesen gegenüber wider.  

Licht und Schatten, Farbe und Form – Tobias Rehberger im Kunstmuseum Stuttgart 

Ausstellungsansicht Kunstmuseum Stuttgart. © Natalie Savas

Im ersten Ausstellungsraum erwartet die Betrachtenden eine Glasvitrine voller Vasen mit echten Blumenarrangements. Die mehr als 40 Vasen sind Portraits von Künstler:innen und Sammler:innen, die Rehberger seit 1995 anfertigt. Zu Beginn der Porträtierung fragt Rehberger nach den Lieblingsblumen und -gewächse. Auf Basis dessen erarbeitet der Künstler Vasen in unterschiedlicher Form und Farbe und fügt bei der Installation die genannten Blumen hinzu. Rehberger schafft somit interessante Doppelportraits: Das Selbstportrait in Form der ausgewählten Pflanzen und die Sicht des Künstlers in Form der Vase.  

Frische Blumen vom regionalen Blumenhändler und personalisierte Vasen porträtieren berühmte Persönlichkeiten. Ausstellungsansicht „I do if I don’t“ – Tobias Rehberger im Kunstmuseum Stuttgart © Natalie Savas

Der zentrale, zweigeschossige Raum des Kubus offenbart eine Lichtinstallation mit etwa 200 von der Decke hängenden Lampen. Diese ließ Rehberger in einer traditionellen Glasbläserei im Harz anfertigen. Die einzelnen Lampenkörper werden durch Lichtobjekte, die aus farbigen Klebebändern gefertigt sind, ergänzt. Das Publikum kann hier am Kunstwerk teilnehmen und selbst über Lichtschalter einzelne Lampengruppen ein- oder ausschalten.  

Buntes Glas, ein Mitmachangebot und ein Farbenspiel, welches man von aus zwei verschiedenen Ebenen betrachten kann. Ausstellungsansicht „I do if I don’t“ – Tobias Rehberger im Kunstmuseum Stuttgart © Natalie Savas

Im zweiten Stockwerk werden die Besucher:innen mit Rehbergers Schattenskulpturen konfrontiert. Die augenscheinlich abstrakten Objekte werden von Scheinwerfern angestrahlt und werfen so einen Schatten auf die dahinterliegende Wand. Die Schatten werden zu Buchstaben und Wörtern wie „Trust“. Auf bei dieser Arbeit werden die Besucher:innen wieder Teil des Gesamten: Beim Vorbeigehen an den Scheinwerfern entstehen Schatten wodurch die Projektionsfläche mitgestaltet wird. 

Ausstellungsansicht Kunstmuseum Stuttgart. © Natalie Savas

Faszination Neon 

Was in einer pulsierenden Großstadt funktioniert, verfehlt im Museum auch nicht seinen Zweck: Faszinieren und die Aufmerksamkeit gewinnen durch Neon! Die leuchtenden Hingucker findet man in den Ausstellungsräumen des Kunstmuseums wieder. In grellen Lettern blinken sie einem entgegen: „ALLES gratis“ oder „Enough is enough“. Doch die Aussagen sind meist nicht nur statisch, denn aus einem „EVER“ wird schnell ein „NEVER“ oder Rehberger hinterfragt selbst mit Hilfe von Pinocchio und einem pickenden Vogel, ob alles oder nichts aus einem Grund passiert.  

Ausstellungsansicht „I do if I don’t“ – Tobias Rehberger im Kunstmuseum Stuttgart © Natalie Savas

Das flirrende Licht der Neon-Röhren beeinträchtigt die räumliche Wahrnehmung und beeinflusst die Position der Betrachter:innen im Raum. Doch damit ist nicht genug. Denn Rehberger nimmt die Betrachter:innen in der nächsten raumgreifenden Installation mit in einem von einer Dazzle-Tapete überzogenen Raum, der die Grenzen des Raumes komplett auflöst und somit die Wahrnehmungsexperimente der Pop-Art aufgreift.  

Ausstellungsansicht „I do if I don’t“ – Tobias Rehberger im Kunstmuseum Stuttgart © Natalie Savas

Um sich von den körperlichen Erfahrungen eventuell erholen zu können, bietet die oberste Etage eine Raum-in-Raum Installation mit einem japanischen Tee-Pavillon sowie 3D-Skulpturen, die nicht nur zum Betrachten gemacht sind, sondern auch als Tisch und Sitzgelegenheit genutzt werden können. Die eigens für die Ausstellung entworfenen 3D-Keramik-Edition „Dirty Dishes Print I-III“ kann in diesem Raum zu festen Verkaufszeiten erworben werden und im Anschluss kann hieraus ein Gericht oder Getränk vor Ort verzehrt werden. 

„I do if I don’t“

Die Ausstellung und die Arbeiten von Tobias Rehberger schaffen Orte des Zusammentreffens, bringen Menschen zusammen und laden sie bewusst ein, genau an diesen (Kunst-)Räumen zu verweilen. Sie bieten Sitz- und Mitmachmöglichkeiten. So wird aus dem distanzierten Museumsbesuch eine körperlich erfahrbare Interaktion.  Das Design Lab bietet in Kooperation mit der ABK Stuttgart Besucher:innen im „Studio 11. Raum für Kunstvermittlung“ die Möglichkeit gestalterische Prozesse aus Kunst und Design an verschiedenen Stationen zu verfolgen.  

Das interaktive Konzept und das abwechslungsreiche Rahmenprogramm bietet dem Publikum die Möglichkeit sich mit dem Werk Tobias Rehbergers auseinanderzusetzen und schafft einen unkomplizierten Zugang zur Kunst.  

Die Ausstellung „I do if I don’t“ ist noch bis zum 28. August 2022 im Kunstmuseum Stuttgart zu sehen.

Tobias Rehberger auf Instagram: @studio_tobias_rehberger
Kunstmuseum Stuttgart auf Instagram: @kunstmuseumstuttgart
„I do if I don’t“ – Tobias Rehberger im Kunstmuseum Stuttgart