Über die Region hinaus ist Ravensburg nicht nur für seine geschichtsträchtigen Türme bekannt, sondern auch als Gründungsort des Ravensburger Spiele- und Buchverlags. Für Schloss Achberg und die Kuratorin Dr. Ilonka Czerny Grund genug, das gesellschaftliche Thema des Spielens einmal aus künstlerischer Sicht zu betrachten. Entstanden ist eine interaktive Ausstellung, in der das Mitspielen erwünscht ist. Insgesamt 15 Künstler:innen, ein Künstlerduo sowie ein Team aus Computerspielentwicklern ermöglichen unterschiedliche Blickwinkel auf die Aspekte „Kunst kann ein Spiel sein“ und „Spiel kann Kunst sein“.
Schloss Achberg
Die Spielzimmer befinden sich in einem im 16. Jahrhundert erbauten Schloss, das 1988 vom Landkreis Ravensburg erworben wurde. Seit 1995 bietet es von Frühjahr bis Herbst ein vielseitiges Kulturangebot. Neben Kunstausstellungen mit umfangreichem Begleitprogramm für Groß und Klein finden hier auch Konzerte statt. Darüber hinaus leiten Führungen zur Schlossgeschichte durch das faszinierende Kulturdenkmal. Erscheint das Schloss von außen noch recht schlicht, erwartet uns eine beindruckende barocke Gestaltung im Inneren.
Spielanleitung
Wie für jedes Spiel gibt es auch für diese Spielwiese in barocker Umgebung eine Spielanleitung, die man beim Kauf eines Tickets erhält. Anstelle eines üblichen Ausstellungskatalogs wird nämlich ein Kartenspiel angeboten. Damit beginnt nun auch der Spielspaß: Die erhaltene Spielverpackung ist leer und muss zuerst gefüllt werden. Für jeden künstlerisch-spielerischen Impuls sind Karten zu sammeln, so dass man am Ende des Ausstellungsrundgangs insgesamt 36 Spielkarten besitzt.
Das Kartenspiel endet aber nicht mit dem Besuch der Ausstellung, denn man kann mit den gesammelten Spielkarten drei verschiedene Spiele spielen: Ein Quartett, Trumpfen und ein Legespiel stehen zur Auswahl. Die Besonderheit am Quartett-Spiel ist die Einteilung in jeweils 8 Spiel- und 8 Kunstkategorien. Das Legespiel hingegen bezieht sich auf die Rückseiten der Spielkarten. Legt man diese richtig zusammen, erhält man ein Bild der Stuckdecke des Rittersaals des Achberger Schlosses. Beim Trumpfen gibt es bei dieser Version ebenfalls eine Eigenart: Die Faktorwerte müssen von den Spieler:innen selbst ausgefüllt werden. Für jedes Kunstwerk ist Folgendes zu bewerten: großer Spielspaß, ganz schön schrill, Denkanstoß, total kreativ und gute Kunst.
Anhand der Faktorwerte des Kartenspiels wollen wir euch nun einzelne Spielzimmer exemplarisch vorstellen:
Großer Spielspaß
Bis auf ein paar wenige Werke sind die Besucher:innen explizit zum Spielen und Mitwirken aufgefordert. So auch beim „Joystick-Duett“ des in Stuttgart lebenden Künstlers Gerhard Friebe. Zwei Mitspieler:innen bewegen über einen Joystick die beiden kugelförmigen Gebilde. Die Spielmethoden können dabei von einem harmonischen Miteinander bis zu kämpferischem Agieren reichen. Die Spielenden sind damit aufgefordert, eine eigene Choreographie zu erarbeiten und damit an der Schaffung einer interaktiven Skulptur mitzuwirken. Mitgestalten können wir auch beim „Stillleben“, indem wir durch Kurbeln das Obst bewegen und unterschiedliche Positionen kreieren.
Spielspaß bedeutet aber nicht immer nur Spaß am eigenen Tun, sondern auch als Zuschauer:in eines Castings gibt es viel zu lachen. Testen können wir das am Beispiel der Talentshow „Casting Jesus“. Die Idee und das Konzept entwickelte der Künstler Christian Jankowski. Für seine Performance gelang es dem Künstler, prominente Persönlichkeiten des Vatikans zum Mitspielen vor der Kamera zu gewinnen. Das Casting fand in Rom statt und wurde von Jankowski selbst gefilmt. Übertragen wurde die Talent-Show über Live-Stream in einen separaten Raum, wo sich 300 Zuschauer:innen befanden und die Szenerie beobachteten. Zu sehen sind männliche Schauspieler, die beispielsweise Jesus-Zitate vortragen oder das Kreuz tragen, um anschließend von der Vatikan-Jury beurteilt zu werden. Lustige und groteske Szenen bekommen wir hier zu sehen.
Ganz schön schrill
Eine ungewöhnliche, ganz schön schrille Installation finden wir in einem weiteren Raum des Schlosses: Mikrofone, Lautsprecherboxen, ein Mischpult sowie rätselhafte Markierungen auf dem Boden sind hier zu sehen. Auch der Monitor ist mit seinen undeutbaren Bildern keine Hilfe. Diese außergewöhnliche Raumgestaltung weckt unser Interesse. Was passiert hier? Wir Betrachter:innen versuchen dem Kunstwerk mit dem Titel „Sounding Floor“ nachzugehen, bewegen uns im Raum und erzeugen dabei neue Geräusche, die auf abgespielte Töne treffen. Diese wurden vom Künstler Kristof Georgen bereits im vergangenen Herbst in diesem Raum des Achberger Schlosses aufgenommen. Akustik- und Bildwelten treffen hier aufeinander.
Ein weiteres ungewöhnliches Konzept finden wir bei der „PainStation 2.5“ der TechArt-Künstler Volker Morawe und Tilmann Reiff alias //////////fur////. Beim Spielen geht es um Gewinnen oder Verlieren. Letzteres ist oftmals verbunden mit Punktverlust. Das ist bei dem Computerspiel „PainStation“ zusätzlich mit einem physischen Schmerz verbunden. Bei diesem interaktiven Spiel ist folglich Vorsicht geboten. Der Ehrgeiz, als Sieger:in aus dem Duell zu gehen, wird damit noch gesteigert.
Denkanstoß
Achtgeben muss man aber auch beim Betreten des Raumes, der von Albrecht Schäfer gestalteten wurde. Hier steht man rasch zwischen zahlreichen Holzbauklötzen, die zum Bauen einladen. Umrahmt wird diese große Spielwiese von großen Schwarz-Weiß-Fotografien, die Kinder beim Spielen mit Blauklötzen zeigen. Kinderleicht entstehen hier neu konstruierte Berliner Stadtviertel.
Die beschriebene Installation mit dem Titel „Fröbels Kinder“ ist eine Hommage an den Reformpädagogen und Erfinder des Kindergartens Friedrich Wilhelm August Fröbel. Dieser steht für ganzheitliches Lernen, wobei logisches Denken sowie die Fähigkeit Gesetzmäßigkeiten zu erkennen ebenso eine Rolle spielen. Bei den Fotos handelt es sich um Collagen aus Pädagogikbüchern und Computersimulation.
Wie die Bauklötze erfreuen sich auch Schattenspiele seit jeher großer Beliebtheit. Der vom Künstler Joachim Fleischer gestaltete Raum erregt mit seinem Hell-Dunkel-Kontrast bereits beim Betreten unsere Aufmerksamkeit. Der Ausstellungsraum wird schrittweise erhellt. Durch das punktuelle Erleuchten rücken einzelne Bereiche oder Details des Zimmers in den Fokus, die vielleicht nur in diesen besonderen Lichtverhältnissen Beachtung finden. Den Licht-Rhythmus gibt der Künstler vor. Fleischer interessiert sich für die prozesshaften Elemente und deckt in seiner Installation die enorme Wirkung von Licht auf. Auch die Betrachtenden sind durch die Schattenwürfe Teil des Kunstwerks. Trotz oder gerade wegen der vorherrschenden Dynamik gibt der Raum Anstoß zur Reflexion über die Kraft des Lichts und der eigenen Betrachtungsweise der Umgebung.
Total kreativ
Wer kennt sie nicht, die kleinen Spielzeugautos – egal ob Postauto, Baustellenfahrzeug oder Ferrari? In den Ausstellungs- bzw. Spielräumen der Fotografin und Designerin Eva Gieselberg finden sich zahlreiche gebrauchte Spielzeugautos: in Form ihrer großformatigen Fotografien oder als Anregung für eigene fotografische Versuche im Rahmen der Ausstellung. Gieselberg bringt ihre kleinen Modelle groß heraus. Dabei werden Macken, Beschädigungen oder ähnliche Gebrauchsspuren erkennbar. Erinnert werden wir damit an niederländische Stillleben, die mit faulem Obst oder erloschenen Kerzen auf unsere Vergänglichkeit verweisen. Auch die betagten Spielzeuge stehen für die Künstlerin für ein gelebtes Leben. Diese Spielzimmer bieten folglich zahlreiche Anstöße: zum Nachdenken über Kunst und über das Leben, aber auch zum „total Kreativwerden“.
Wie bei Gieselbergs #CandyCars müssen die Besucher:innen auch in anderen Räumen ihre kreativen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Das gilt ebenso für das von Computerentwicklern erstellte Spiel. „Home for Everyone 3“ wurde von einem Team aus Studierenden der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe entwickelt. Dabei wird unsere Kreativität gefördert, denn es geht im Spiel darum, das Gebiet so zu gestalten, dass sich dort alle ankommenden Menschen wohlfühlen. Tritt dieser Fall ein, bauen diese ihre Häuser und bedeuten für den:die Spieler:in einen Punktegewinn. Dieses kreative Tun soll zugleich dazu auffordern, auch im realen Leben umsichtig zu agieren. Mit dieser künstlerischen Position verweist die Kuratorin zudem auf die kontroverse Diskussion darüber, ob es sich bei Computerspielen um eine Kunstform handelt.
Gute Kunst
Der Kuratorin Dr. Ilonka Czerny ist es gelungen, inspirierende Künstler:innen für ihr Projekt zu gewinnen. Diese stellen in ihren Werken nicht nur das Spiel in seiner künstlerischen Vielseitigkeit dar, sondern auch die Vielfalt des Spiels selbst. Auf diese Weise wird die Ausstellung zu einem multisensorischen Erlebnis. Auch Teamarbeit, Kreativität und Experimentierfreude sind gefordert. Darüber hinaus ist das Kartenspiel nicht nur eine gelungene Alternative zum Ausstellungskatalog, sondern regt zugleich zum Weiterspielen zuhause an.
Die Ausstellung „SpielART“ ist noch bis zum 23. Oktober 2022 in Schloss Achberg zu sehen. Die Achberger Ausstellung wird vom 23. Mai bis zum 8. Juli 2022 von einer Installation des Künstlers Herbert Moser in der Ravensburger Sparkassengalerie ergänzt.