Stuttgart und Oskar Schlemmer sind eng miteinander verbunden: Dort wurde er im Jahr 1888 geboren, er studierte in Stuttgart an der Akademie und in der Staatsgalerie Stuttgart befindet sich heute der größte Museumsbestand seiner Werke sowie sein Nachlass. Der Künstler, der unter anderem als Bauhausmeister bekannt ist, beschäftigte sich mit der menschlichen Figur im Raum. Das Interesse fand Schlemmer auch in Bühne und Tanz wieder. So schlug sein Herz neben der bildenden Kunst auch stets für die Bühnenarbeit. Bereits seit 1912 entwickelte Schlemmer Tanzkonzepte. Ab 1920 arbeitete er zusammen mit seinem Bruder Carl und den Tänzer:innen Elsa Hötzel und Albert Burger an den Kostümen und der Choreografie für ein Werk, das zu Schlemmers bekanntester Theaterarbeit werden sollte: Das Triadische Ballett.
Das Triadische Balett
Premiere feierte das Stück 1922 am Württembergischen Landestheater in Stuttgart. Neben Burger und Hötzel tanzte Schlemmer selbst mit. Nach der Uraufführung entwickelte er das Ballett stets weiter. Das Prinzip der Dreiheit („Trias“), das sich in den Abschnitten, Bühnenhintergründen, bei den Tänzer:innen und Kostümen wiederfindet, behielt Schlemmer immer bei. Die Kostüme wurden aus ungewöhnlichen Materialien wie Stahlblech, Sperrholz oder Draht gefertigt. Sie schränkten die Bewegungsmöglichkeiten stark ein und abstrahierten die menschliche Figur zur Figurine. Sieben der ursprünglich 18 Figurinen des Triadischen Balletts befinden sich in der Staatsgalerie Stuttgart und zählen zu den Highlights der Sammlung. Zum 100-jährigen Jubiläum zeigt das Museum nun die Ausstellung „Moved by Schlemmer“.
Alexa Dobelmann arbeitete an der Ausstellung als kuratorische Assistentin mit. Sie hat Kunstgeschichte in Stuttgart studiert und promoviert aktuell. Seit 2020 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Staatsgalerie Stuttgart tätig. Im Interview erzählt Alexa von der Idee der Ausstellung, die das Jubiläum des Triadischen Balletts als Ausgangspunkt nimmt. Die Künstlerinnen Ulla von Brandenburg, Kalin Lindena und Haegue Yang wurden eingeladen, das Museum zur Bühne der Gegenwart zu machen. Alexa berichtet von den Arbeiten der drei zeitgenössischen Künstlerinnen und wie sie Oskar Schlemmers Triadisches Ballett als Referenz für ihre Werke nehmen.
Liebe Alexa, danke, dass du die Zeit findest, mit KUNE über die Ausstellung „Moved by Schlemmer“ zu sprechen. Wie ist die Idee zu der Ausstellung entstanden? Und wie lange hat es gedauert, bis die Schau dann tatsächlich auf den Beinen stand?
Ich selbst wurde Anfang des Jahres 2021 zu dem Projekt hinzugezogen, also vor etwas mehr als einem Jahr. Die Kuratorin Susanne Kaufmann-Valet hat das Ausstellungsprojekt schon länger entwickelt. Als ich in die Vorbereitungen eingestiegen bin, stand fest, mit wem gearbeitet wird, sprich die drei künstlerischen Positionen. Man wollte keine Überblicksschau zeigen. Also nicht, was alles in den letzten hundert Jahren mit dem Triadischen Ballett passiert ist, sondern gegenwärtige Positionen ausstellen, die sich mit dem Triadischen Ballett künstlerisch auseinandersetzen.
Die Staatsgalerie zeigte im Jahr 2014/2015 bereits eine große Retrospektive zu Oskar Schlemmer. Das Museum besitzt einen wahnsinnig großen Schlemmer-Bestand und auch sein schriftlicher Nachlass wird im Archiv der Staatsgalerie verwahrt. Das Triadische Ballett kann für Schlemmers Bühnenarbeiten als Hauptwerk verstanden werden. Und die Staatsgalerie besitzt schließlich 7 von 9 noch existierenden Kostümen davon. Es war somit klar, dass etwas in Stuttgart zum Jubiläum des Triadischen Balletts passieren soll. Allerdings wollten wir die Schlemmer-Ausstellung von vor 8 Jahren nicht einfach wiederholen, sondern einen neuen Blickwinkel finden. Susanne Kaufmann-Valet war der Aspekt der gegenwärtigen Position zum Triadischen Ballett wichtig. Sie hatte übrigens 2014 als Volontärin an dieser Retrospektive mitgearbeitet, also letztendlich in meiner Position jetzt.
Die Ausstellung „Moved by Schlemmer“ ist im Kollektiv und in der Zusammenarbeit mehrerer Personen entstanden. Wer hat an der Konzeption mitgearbeitet und was war deine Rolle dabei?
Ja stimmt, wir haben in einer hierarchieflachen Struktur als Team zusammengearbeitet. Susanne Kaufmann-Valet ist die Hauptkuratorin und hat die Federführung übernommen. Unterstützt wurde sie von Jens-Henning Ullner, der vor allem für den Rezeptionsteil der Ausstellung zuständig war. Steffen Egle aus dem Bereich Bildung und Vermittlung hat vor allem in der Ausstellung die Vermittlungsaspekte immer mitgedacht. Und dann gab es ja noch mich, die als kuratorische Assistenz überall ein bisschen mitgeholfen hat. Ich habe besonders die Kuratorin bei den zeitgenössischen Positionen unterstützt.
Für die zeitgenössischen Positionen habt ihr euch für drei Künstlerinnen entschieden. Warum?
Dass es drei Künstlerinnen, also Frauen, geworden sind, war Zufall. Es waren auch Künstler im Gespräch, aber die Positionen haben eben letztendlich am besten gepasst. Ich glaube aber, dass es doch durchaus nicht unbedeutend ist, dass es drei Frauen geworden sind, die wir zeigen. In der zeitgenössischen Kunst gibt es mittlerweile eine Aufweichung der starren männlichen, weißen Positionen. Ich denke, dass die Rolle der Museen da auch nicht ganz zu vernachlässigen ist. Die Staatsgalerie hat sich beispielsweise dazu verpflichtet, dass mindestens 50% der Neuankäufe von Künstlerinnen sind. So passt die Ausstellung ganz gut ins Profil. Meiner Meinung nach ist es auch notwendig, ganz aktiv Künstlerinnen oder Positionen von nicht-weißen Künstler:innen zu zeigen. Es war also eine glückliche Fügung, dass es drei Frauen gibt, die sich nachhaltig und auch wirklich interessant mit Schlemmer auseinandersetzen.
Und warum sind es genau drei Positionen geworden?
Die Zahl Drei begründet sich aus der Dreiteiligkeit des Triadischen Balletts. Schlemmer hat sein Ballett in drei Aufzüge geteilt: Der erste Akt ist auf gelb ausgehängter Bühne heiter-burlesk gestimmt, der zweite Akt ist festlich-getragen und rosa und der dritte Auftritt auf schwarzer Bühne zeigt eine mystisch-fantastische Stimmung. Es war klar, dass also drei Künstler:innen gezeigt werden sollten, die jeweils eine Stimmung abbilden. Glücklicherweise war es schnell entschieden, welche Künstlerin welche Stimmung bespielen möchte. Es war eine Mischung aus einer kuratorischen und auch einer künstlerischen Entscheidung.
Das heißt, dass die Künstlerinnen an der Konzeption auch aktiv mitgearbeitet haben?
Ja. Ich glaube, dass es mit lebenden Künstler:innen fast nicht anders geht, weil sie natürlich sehr gerne mitsprechen möchten, wie ihre Werke präsentiert werden. Man kann von ihnen natürlich auch am meisten erfahren. Auch Oskar Schlemmer hat sein Triadisches Ballett kollaborativ konzipiert. Er hat mit den zwei Stuttgarter Tänzer:innen Elsa Hötzel und Albert Burger zusammengearbeitet. Das hat bei ihnen leider nur nicht hundertprozentig geklappt. Bereits 1923, also ein Jahr nach der Uraufführung, gab es schon Streit und ein Gerichtsurteil teilte dann die Kostüme auf. Ich glaube, Zusammenarbeiten ist immer ein Verhandlungsprozess und das hat sich auch bei uns im kuratorischen Team gezeigt. Schließlich hat jede:r eine eigene Perspektive und das ist auch gut so. Bei uns gab es ein konstruktives Miteinander. In ganz vielen Runden sind wir mit verschiedenen Leuten zusammengekommen und wir haben darauf geachtet, dass verschiedene Perspektiven miteinfließen.
Wie ist die Ausstellung denn aufgebaut?
Der Aufbau orientiert sich an den drei Akten des Triadischen Balletts. Die Künstlerinnen haben große, raumgreifende Installationen geschaffen, die in der chronologischen Reihenfolge der Akte aneinandergereiht sind. Interessanterweise hat es auch zufällig gepasst, dass wir die alphabetische Reihenfolge einhalten, aber das ist nur ein kleiner Fun Fact am Rande.
Die Ausstellung beginnt mit zwei Räumen von Ulla von Brandenburg. Darauf folgt der Raum von Kalin Lindena. Dann gibt es eine kleine Unterbrechung, denn im nächsten Raum werden die Figurinen des Triadischen Balletts präsentiert. Die dritte Bühne wird dann von Haegue Yang bespielt. Ergänzt wird das Ganze durch kleinere Kabinette, in denen beispielsweise fotografische Reproduktionen einen Einblick in die Rezeptions- und Aufführungsgeschichte des „Schlemmer-Kosmos“ geben. Ein weiterer Ergänzungsraum stellt das sogenannte Graphikkabinett dar, das direkt von Yangs Raum abgeht. Dort bietet die Künstlerin Einblicke in ihre Materialsammlung und in ihr Archiv. Erweitert wird dies um die Aufzeichnung einer Wiederaufführung des Triadischen Balletts aus dem Jahr 2014.
Der letzte Raum der Ausstellung ist das „Backstage“. Der Begriff reiht sich ja in die Terminologie des Theaters ein. Die Idee ist, dass dieser Schlussraum nochmal einiges zusammenführt. Auf drei Screens sind verschiedene Videos zu sehen: vom Aufstellungsaufbau, Interviews und Mitschnitte von den Performances der Künstlerinnen. Sie haben nämlich nicht nur die raumgreifenden Installationen gemacht, ihre Arbeit umfasst auch performative Aspekte. Das heißt, während der Ausstellungsdauer wurden und werden auch Performances aufgeführt. In Videoclips werden sie für die Besucher:innen dokumentiert.
Sprechen wir doch nun genauer über die drei Künstlerinnen. Sie verwenden verschiedene Medien und Ausdrucksmittel. Durch Licht, Schatten, Farbe und Musik werden diese Stimmungen erzeugt. Den ersten Ausstellungsraum von Ulla von Brandenburg betritt man durch einen Vorhang, also quasi wie auf einer Bühne selbst. Und man steht in diesem Raum, als wäre man Teil des Gesamtkonzepts.
Das ist einer der zentralsten Aspekte bei Ulla von Brandenburg. Die Installation wird selbst zur Bühne. Während es beim Theater die Trennung zwischen Bühne und Publikum gibt, wird der museale Raum zur Bühne und der ganze Raum als Installation bespielt. Der:die Rezipient:in wird dabei zum:zur Akteur:in. Es gibt dort eine Multiperspektive, nämlich dass man sich die Installation anschaut, aber gleichzeitig auch aktiviert, indem man mit den Räumen und den Objekten in Verbindung tritt. Komplettiert wird dies dadurch, dass die Künstlerin eine Performance für diese Räume entwickelt, in der die Materialien, die in dem Raum mitausgestellt sind, eine Verwendung erhalten. Das sind zum Beispiel Stäbe, die an die Bauhaus-Tänze von Schlemmer erinnern lassen, oder geometrische Formen. Ein wichtiger Teil der Installation ist ein Film, der ähnlich der Performance eine burleske Szene zeigt. Er ist schwarz-weiß, entwickelt aber auf den gelben Stoffbahnen eine ganz eigene Ästhetik. In dem Film tanzt sie mit drei Performer:innen, die die Kostüme tragen, die in den Räumen von der Decke herabhängen. Er zeigt etwas Clowneskes, verbindet die Ausdrucksmittel miteinander und eröffnet Fragen nach dem Gegenspiel von Anwesenheit und Abwesenheit. Die heiter-burleske Stimmung Schlemmers spiegelt sie dadurch eindeutig wieder.
Welche Ideen stecken in Kalin Lindenas Rauminstallation?
Der Raum besteht aus einer großen Stoffarbeit, aus Skulpturen und einer Videoarbeit. Die Installation ist dem von Schlemmer gestaltetem Programmheft der Uraufführung des Triadischen Balletts gegenübergestellt, das das Rosa des Festlich-Getragenen zeigt. Kalin Lindenas Videoarbeit ist in der Staatsgalerie entstanden. Dafür wurden auf dem Boden Linien angebracht, die vom Eingangsbereich der Staatsgalerie zur Ausstellung führen. Die Besucher:innen können selbst über diese Bodenlinien laufen und spielerisch selbst zu Performenden werden.
Im Video ist es performativ umgesetzt. Die Performer:innen tanzen und gehen individuell auf den Linien. Die Museumsarchitektur wird zur Bühne. Die Linie findet sich auch in den Skulpturen wieder. In Kalin Lindenas Arbeit geht es darum, dass sie die Linie als Visualisierung der Bewegung nachfährt. Die Stoffbahnen, die frei im Raum hängen, greifen den Aspekt des Bühnenvorhangs auf. Auch Schlemmer hat bei Aufführungen des Triadischen Balletts bemalte Vorhänge verwendet. Auf dem Stoff finden sich Strichzeichnungen von klatschenden Händen, die die Präsenz des Publikums verdeutlichen.
Und was zeigt sich auf der „schwarzen Bühne“?
Haegue Yangs Arbeit besteht aus sechs großen Skulpturen, an denen ganz viele Glöckchen angebracht sind. Durch Rollen können sie bewegt werden. Jeden ersten Sonntag im Monat gibt es eine Aktivierung der Skulpturen, bei der auch das charakteristische Klingen der Glöckchen und ihre Bewegung erfahrbar wird. In Haegue Yangs Arbeit zeigt sich die Beschäftigung mit dem Maschinenmensch Schlemmers, aber auch andere Referenzen, zum Beispiel Werke der Künstlerin Sophie Taeuber-Arp, werden darin vereint.
In ihrer Arbeit sind auch zwei Soundkomponenten vorhanden. Zum einen ist es eine Komposition von Isang Yun, der unter anderem über seine Biografie eine politische Komponente einfließen lässt. Zum anderen ist Vogelgezwitscher hörbar. Dieses Soundelement kommt von einem Treffen der beiden koreanischen Regierungschefs im Jahr 2018, die als Annäherung zwischen Nord- und Südkorea verstanden werden kann. Auf den Aufnahmen der dort geführten Gespräche wurden die Stimmen herausgeschnitten, sodass nur Vogelgezwitscher und hin und wieder ein Klicken der Kameras zu hören ist. Neben den politischen Ebenen verarbeitet Yang rituelle und schamanische Einflüsse, etwa durch die Glocken in ihren Skulpturen.
Welche Referenz auf Schlemmers Werk findest du denn besonders spannend?
Würde ich nur eine Künstlerin von den Dreien nennen, würde ich den anderen beiden Unrecht tun. Jede Einzelne hat für sich eine starke Relevanz im Kontext der Ausstellung. Was mir bei Ulla von Brandenburg am meisten gefällt, ist der spielerische Charakter, die Hinterfragung von musealem Raum und der passiven Rolle des:der Museumsbesucher:in, die aufgehoben wird. Bei Kalin Lindena gefällt mir die poetische Herangehensweise der Abstraktion der Bewegung zur Linie. Die Fluidität und diese hybride Art der Skulpturen von Haegue Yang finde ich beeindruckend. Sie greift diese Mensch-Maschinen-Thematik Schlemmers stark auf und hebt jegliche Binarität auf. In jedem Werk habe ich so meine Lieblingsaspekte.
Die Ausstellung „Moved by Schlemmer“ ist bis zum 9. Oktober 2022 in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen.
Vom 30.9.2022 bis zum 9.10.2022 findet in Stuttgart das Tanz- und Performancefestival „Körper der Gegenwart“ statt. Die Staatsgalerie Stuttgart möchte damit die künstlerische Rezeption Schlemmers fortschreiben und zu einer kritischen Auseinandersetzung mit seinem Körper- und Kostümbegriff anregen.
Beitragsbild: Oskar Schlemmer, Das Triadische Ballett, 1922, Staatsgalerie Stuttgart, © Foto: Oliver Kröning