Ein abstrakter Geheimtipp – die Sammlung Domnick in Nürtingen 

Die Sammlung Domnick bei Nürtingen beherbergt bedeutende abstrakter Nachkriegskunst und bildet mit ihrer einzigartigen Architektur und dem eigenen Skulpturengarten ein besonderes Ensemble.

Versteckt hinter Bäumen und einer hohen Hecke wirkt der flache Betonbau aus der Ferne eher unscheinbar. Doch hier, etwas außerhalb von Nürtingen, liegt, mit Blick auf die Schwäbische Alb, das Museum der Sammlung Domnick, ein ganz besonderer Ort der Kultur im Südwesten.

Es beherbergt eine umfangreiche Sammlung abstrakter Kunst. Der Schwerpunkt liegt auf deutscher Malerei aus der Nachkriegszeit, aber auch Werke französischer Künstler:innen und Bilder und Skulpturen bis in die 1980er sind vertreten. Einzigartig ist dabei das Zusammenspiel von Architektur, Malerei, Skulptur, Inneneinrichtung und Parkgestaltung. Es ist noch so erhalten, wie es vom Sammler- und Erbauerehepaar Ottomar und Margarete, genannt Greta, Domnick intendiert war.

Eine Sammlung entsteht

Das promovierte Ärzteehepaar Domnick führte zusammen eine Klinik für Psychiatrie und Neurologie in Stuttgart. Gerade nach dem zweiten Weltkrieg war der Bedarf für diese Behandlungen groß und die Domnicks kamen zu Geld. Ottomar hatte schon während seines Studiums in Berlin kunsthistorische Vorlesungen besucht. Nach dem Krieg wurde dieses Interesse neu entfacht. Am neuen Klinikstandort auf der Gänsheide in Stuttgart war einer seiner Nachbarn der abstrakt arbeitende Künstler Willi Baumeister (1889 – 1955). Dieser war nach zwölf Jahren Berufsverbot unter den Nationalsozialisten nun Professor an der Stuttgarter Kunstakademie und begeisterte die Domnicks für die abstrakte Kunst. Schnell kam es zu ersten Ankäufen, meist direkt von den Künstler:innen. Beraten wurden sie dabei auch durch ihren Freund, den Stuttgarter Kunsthistoriker Hans Hildebrandt. Innerhalb von nur wenigen Jahren kam so eine Sammlung von über 150 abstrakten Bildern unter anderem von Baumeister, Fritz Winter und Hans Hartung zusammen.

Möblierter Ausstellungsraum der Sammlung Domnick mit abstrakten Gemälden und langem Tisch mit Stühlen
Möblierter Ausstellungsraum der Sammlung Domnick.
© Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Foto: Rose Hajdu.

Abstrakte Kunst als Neuanfang

Warum interessierten sich die Domnicks aber gerade für abstrakte Kunst? Zum einen bestand sicher ein psychologisches Interesse der beiden Nervenärzte. Denn Vertreter:innen der gestischen Abstraktion, die ihre Sammlung dominieren, nutzten bewusst Elemente von Spontanität und Zufall in ihrem Schaffensprozess. Ziel war die „Entdeckung des Unbekannten“, wie Willi Baumeister es formulierte. Das Spiel mit Farben, Formen, Bewegung und Assoziationen und deren Wirkung auf die Betrachter:innen faszinierte die Domnicks sicherlich.

Andererseits handelte es sich bei dieser Kunstrichtung um eine solche, welche unter den Nationalsozialisten verboten gewesen war und als ‚entartet‘ gegolten hatte. Deren Künstler:innen pochten nun auf ihr Recht auf Anerkennung. Doch gerade in den ersten Jahren stießen sie in der Öffentlichkeit auf Ablehnung. Als unnahbar und zu entfernt vom Menschen wurde ihre Kunst kritisiert. Der bekannte österreichische Kunsthistoriker Hans Sedlmayr hielt abstrakte Werke sogar für ein Symptom des Verfalls der Zivilisation. Gerade in dieser Zeit warben die Domnicks mit Veranstaltungen, Publikationen, Filmen und Ausstellungen für die abstrakte Kunst und unterstützten Künstler:innen durch Ankäufe.

Damit lagen sie schnell im Trend. Denn im Laufe der 1950er Jahre etablierte sich die abstrakte Kunst insgesamt in der westlichen Welt als Ausdruck von Individualität, Freiheit und Demokratie. Gerade auch die junge Bundesrepublik, die sich vom Nationalsozialismus aber auch vom sozialistischen Realismus distanzieren wollte, präferierte schnell diese Stilrichtung. Vorreiter dieser Überlegungen waren in Deutschland unter anderem die Künstler:innen der Münchner ZEN 49 Gruppe. Ihr gehörten auch Willi Baumeister und Fritz Winter an. Sie vertraten einen künstlerischen und moralischen Neuanfang nach den Schrecken des Nationalsozialismus.

Von der Kunst zum Porsche und zum Film

TDie junge Sammlung der Domnicks wurde 1952 in einer Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgartgezeigt. Danach verschwanden die Werke auf Grund von Platzmangel im Depot. Auch die Sammelleidenschaft der Domnicks verschob sich in den 1950ern weg von der nun etablierten abstrakten Kunst hin zu Automobilen und sie wurden selbst kreativ. So bereiste das Ehepaar zum Beispiel mit ihrem 356er Porsche, dem ersten in Deutschland, 1951 Marokko. Einige spannende Dokumente dazu, sowie ein Schriftwechsel zwischen Ferry Porsche und Ottomar Domnick lassen sich im Museum studieren. Aber auch die Filmbegeisterung des Ehepaars lässt sich am Haus ablesen. Denn ein Raum für Filmvorführmaschinen, eine ist heute noch vorhanden, und eine Projektionsleinwand, wurden gleich mit eingebaut. Seine ersten zwei eigenen Filme drehte Ottomar noch über die abstrakte Kunst Neue Kunst – Neues Sehen (1950) bzw. über Willi Baumeister (1954) und dessen Arbeitsprozess. Darauf folgten noch acht weitere Filme. Die dafür erhaltenen Filmpreise, einen Bambi (1957) für seinen Film Jonas und das Filmband in Gold (1988), kann man heute in der Bar der Sammlung Domnick in Augenschein nehmen. Greta stand bei diesen Produktionen sowohl vor der Kamera als auch am Schneidepult.

Gartenrückseite der Sammlung Domnick entworfen von Paul Stohrer. Im Vordergrund die Skulptur Felder eines Menschen in Bewegung, 1979 von Max Schmitz.
Gartenrückseite der Sammlung Domnick mit Felder eines Menschen in Bewegung, 1979 von Max Schmitz.
© Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg. Foto: Vera Romeu.

Eine Villa aus Beton

Dass ihre Kunstsammlung währenddessen der Öffentlichkeit nicht zugänglich war, störte die beiden aber dennoch. Da mit der Staatsgalerie Stuttgart keine Einigung über eine dauerhafte Ausstellung nach den Vorstellungen der Domnicks erzielt werden konnte, entstand die Idee für ein eigenes Ausstellungs- und Wohnhaus. Das Gebäude sollte genauso modern wie die darin zu zeigende Kunst sein. Daher entschieden sie sich für den Stuttgarter Architekten Paul Stohrer (1909 – 1975), Schüler von Paul Bonatz, dem Architekten des Stuttgarter Hauptbahnhofes. Stohrer hatte unter anderem das neue Stuttgarter Rathaus mit entworfen und war Professor für Entwerfen und Innenraumgestaltung an der heutigen Hochschule für Technik in Stuttgart. Im Austausch mit den Domnicks entwarf er ein schlichtes, betonsichtiges Gebäude auf quadratischem Grundriss, angelehnt an den brutalistischen Stil von Le Corbusier.

Dieser auf den ersten Blick so flache, einfache und schlichte Bau hält einige Überraschungen für uns bereit. Die Anforderung, als Wohn-, Ausstellungs- und Veranstaltungsgebäude zu dienen, erforderte eine gewitzte Raumaufteilung, die bis heute überrascht. Ausgehend vom einem Stützenraster aus 7 x 7 Grundrissquadraten konnten die Wände dazwischen beliebig gesetzt werden. Teilweise fungieren diese nur als Stellwände und enden bereits unterhalb der Decke auf Dreivierteln der Raumhöhe. Mit dem Haus durchschreitet man auch das Profil des Hanges, auf dem es gebaut wurde. Das drückt sich in drei Abstufungsebenen aus, welche sich durch den Ausstellungsbereich ziehen.

Ausstellungsansicht mit architektonischen Durchblicken und einem Konzertflügel, abstrakte Kunst an den Wänden
Der Ausstellungsraum ist gleichzeitig Veranstaltungsraum.
© Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Foto: Volker Naumann.

Der Innenraum ist eine interessante Mischung aus modernem Wohn- und Ausstellungsraum. Es gibt keine imposanten hohen Decken mit Oberlicht wie in einem klassischen Museum für moderne Kunst. Dafür hat die Sammlung Domnick neben den obligatorischen weißen Wänden einen hellen Waschbetonfußboden, dunkle Decken, bodentiefe Glasfensterfronten zum Hang hin und Lampenlichtspots, die die Werke an den Wänden zur Geltung bringen. Alle Räume sind zueinander offen und schaffen so den Eindruck von Großzügigkeit. Aber man geht nicht in einer übergroßen Leere verloren. Interessante und verwinkelte Durchblicke von einem Raum zum anderen ergeben sich durch die Aufteilung der Räume, Lichthöfe und die Höhenstaffelung am Hang. Eine Inspiration dafür sollen die verwinkelten Gassen in Marokko gewesen sein.

Alle baulichen Elemente halten sich an das rechteckige Grundschema. Allein eine einzige Rundung gibt es im ganzen Haus. Diese profilierte Wand dient aber nicht nur als kontrastreiches Bauelement, sondern verbessert auch die Akustik. Denn das Ärzteehepaar begeisterte sich auch für neue Musik und veranstaltete Konzerte in ihren Räumen. Eine Tradition die sich bis heute im Veranstaltungsprogramm des Museums fortsetzt. Möbel im Stil des Bauhauses und Le Corbusiers laden zum Verweilen ein.

Innenraumansicht der Sammlung Domnick mit abstrakten Gemälden und Durchblicke in mehrere Bereiche
Ausstellungsraumdurchblick und Leseecke mit rundem Wandelement links im Bild.
© Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Foto: Rose Hajdu.

An zwei Stellen geht der Ausstellungsraum in den privaten Wohnraum der Domnicks über. Er ist durch die Verwendung des damals neuartigen Teppichbodens markiert. Denn einen Teppich aus synthetischen Fasern der den gesamten Boden bedeckte, wurde erstmals in den 1950ern produziert. Einsehen lässt sich ein Ess- und ein Arbeitsbereich sowie die Hausbar. Leider sind diese Räume für gewöhnlich nicht für die Besucher:innen zugänglich.

Blick vom Privatbereich des Hauses der Sammlung Domnick in den Ausstellungsraum.
Blick vom Privatbereich des Hauses in den Ausstellungsraum.
© Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Stiftung Domnick. Foto: Volker Naumann.

Metall im Grünen

Völlig zugänglich ist hingegen der Skulpturenpark, der sich an das Museumsgebäude anschließt. Er entstand ab 1976, nachdem das anliegende Nachbargrundstück gekauft werden konnte. Die dort zu sehenden Metallskulpturen aus den 1960er bis 1980er Jahren bedienen sich auch einer abstrakten Formensprache, haben aber nicht mehr die gegenstandslose Strenge der Gemälde aus der Nachkriegszeit. Es sind insgesamt 32 Werke von deutschen Künstler:innen wie Max Schmitz, Gustav Reinhardt und K.H. Türk, aber auch von deren französischen und italienischen Kollegen wie Bernar Venet und Pablo Serrano, im Park zu finden. Die geschlungenen Wege durch die Werke, Bäume, Büsche und die hügelige Landschaft laden zum mehrmaligen Hinschauen ein, zum Betrachten aus mehreren Perspektiven und zum Vergleich der Werke untereinander. Geschwungener, organischer Natur und eher kantige, harte Metallskulpturen kontrastieren einander hier auf reizvolle Art und Weise.

Blick auf abstrakten Skulpturenpark und Museum Sammlung Domnick
Blick auf Skulpturenpark und Museum, © Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Foto: Rose Hajdu.

Fazit

Das Ehepaar Domnick begeisterte sich für vieles, was modern und neu war in der Nachkriegszeit: die abstrakte Kunst, brutalistische Architektur, neue Musik, experimentellen Film und schnittige Sportwagen. Mit der Sammlung Domnick, die von ihrer Stiftung getragen und von der Stiftung Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg unterhalten wird, geben sie uns auch heute einen Einblick in ihr Leben und Denken und das ihrer modernen künstlerischen Zeitgenossen, sowie die Anfangsjahre der Bundesrepublik. Mit ihrer Villa im Grünen haben sie ein besonderes Gesamtkunstwerk aus Malerei, Skulptur und Architektur geschaffen, welches zu Recht seit 1982 unter Denkmalschutz steht.

Ein Besuch sei Groß und Klein empfohlen. Die Öffnungszeiten beschränken sich leider auf die Nachmittage am Wochenende. Das engagierte Personal beantwortet gern Fragen und führt sachkundig durch die Sammlung. Es gibt Bastelbögen für Kinder zur Auseinandersetzung mit einzelnen Werken und der Skulpturenpark lädt zum Schlendern ein. Wer den Besuch mit mehr Bewegung verbinden möchte, dem sei der Rundwanderweg „In Hölderlins Landschaft“ zwischen Nürtingen, Hardt und Oberensingen empfohlen, welcher direkt am Museum vorbeiführt.


Infos

Sammlung Domnick, Oberensinger Höhe 4, 72622 Nürtingen 

https://www.domnick.de/

Geöffnet 1. Mai bis 31. Oktober am Wochenende und an Feiertagen von 14:00 – 17:00 Uhr. (Rest des Jahres sonntags 14:00 – 17:00 Uhr.) 

Eintritt: Villa und Garten 8 € / ermäßigt 4 €, nur Garten 2 € / ermäßigt 1 € 

Kostenlose Führungen werden angeboten.