Die Ausstellung „Magallanes, Marilyn, Mickey y fray Dámaso. 500 años de conquistadores RockStars“ im Palacio de Cristal im Stadtpark El Retiro in Madrid ist ein Projekt, das speziell vom philippinischen Künstler und Filmregisseur Kidlat Tahimik für das Gebäude konzipiert wurde. Die Installation wird dieses Jahr und nicht zufällig genau 500 Jahre nach Magellans Eroberung der Philippinen präsentiert.
Geboren ist Eric Oteyza de Guia 1942 in der philippinischen Stadt Baguio. Besser bekannt ist er unter seinem Künstlernamen Kidlat Tahimik. Auf Tagalog, der Sprache, die im Zentrum und im Süden der Insel Luzon beheimatet ist, bedeutet „kidlat tahimik“ so viel wie „stiller Blitz“ oder auch „sanfter Lichteinfall“. Baguio City wurde in den Jahren seiner Jugend als Militärstützpunkt, wie ein Großteil der Philippinen bis heute, stark von den USA geprägt. Er begann sein Studium an der Universität der Philippinen und schloss seinen Master in Business Administration in Pennsylvania ab. In Europa kam er mit Filmemachern in Kontakt, unter anderem mit Francis Ford Coppola, der auch dazu beitrug, dass sein erster Film, „Mababangon bangungot“ (Perfumed Nightmare), 1977 ein Erfolg wurde. Als Filmregisseur wurde er schnell für seine neokolonialismuskritischen Produktionen bekannt. Er wird mitunter auch als Vater des philippinischen Independent-Kinos bezeichnet und ist einer der einflussreichsten Regisseure in der asiatischen Filmindustrie. Kidlat wurde auf zahlreichen internationalen Festivals ausgezeichnet, er erhielt unter anderem 1977 den internationalen Kritikerpreis der Berlinale, 2018 den Prince Claus Laureate Award und im selben Jahr den Philippine National Artist for Film. Auf der Sharjah Biennale (Vereinigte Arabische Emirate) präsentierte er 2019 seine weithin anerkannte Installation „Ang Ma-bagyong Sabungan ng 2 Bathala ng Hangin, A Stormy Clash Between 2 Goddesses of the Winds (WW III – the Protracted Culture War)“, die den indigenen philippinischen Widerstand und die Kontamination ihrer Kultur durch den europäischen und den US-Imperialismus thematisiert.
MADRID – Als ich an einem schönen sonnigen Sonntagnachmittag im Stadtpark, dem Retiro, spazieren ging, fiel mir direkt das in den Sonnenstrahlen funkelnde Glasgebäude auf, das direkt neben einem See zu finden ist. Ein Freund, der mich auf meinem Spaziergang begleitete, erwähnte, dass der Palacio de Cristal, der heute als Ausstellungsplattform des Museums Reina Sofía dient, „zwar sehr hübsch ist, jedoch eine zutiefst erschütternde Geschichte hat, von der nur Wenige wissen“: Vor 135 Jahren fungierte er als „Menschenzoo“ der Ureinwohner der Philippinen. Die Ausstellung, die von außen schon einen ersten Eindruck erlaubt, da das Gehäuse gänzlich aus Glas besteht, erweckte zunächst durch die monumentalen Holzskulpturen meine Aufmerksamkeit. Als ich nun die Ausstellung betrat, war ich zudem von dem Geruch eingenommen: Sägemehl bedeckt den Boden um Tahimiks groß angelegte Installationen, die größtenteils aus organischen Materialien gefertigt sind. Es roch nach Holzspänen, Sägemehl, Muscheln, Weiden und getrockneten Palmblättern. Für einen Augenblick wurde ich zurückversetzt in meine Erinnerungen an die Philippinen. Die mit großer künstlerischer Handfertigkeit geschnitzten Skulpturen erinnerten mich an jene, die ich vor Jahren einmal in einer Werkstatt für Handwerkskunst und Schreinerei in Bataan, ein paar Stunden von der Hauptstadt Manila entfernt, gesehen hatte.
Direkt wurde mir klar, dass Tahimik mit philippinischen Handwerker:innen zusammengearbeitet haben muss, und zwar ganz bestimmt, um eine bewusste Distanz zur abendländischen Mainstream-Kunstwelt zu schaffen. Auch für seine Filme setzt er immer wieder Laiendarsteller ein, um mit den Konventionen Hollywoods zu brechen. Der Ausstellungskatalog zitiert den Tagalog-Begiff kapwa, der unter anderem mit den Worten „Gemeinschaft“, „Teamarbeit“ und „Mitgefühl für Andere“ übersetzt werden kann und sowohl als ein grundlegender Wert in Tahimiks Kunst als auch als Grundlage der philippinischen Kultur gelten kann.
Wie auch schon beim Hineinspähen von außen, fiel mir, als ich das Gebäude betrat, die Monumentalität der Skulpturen auf. Die Ausstellung ist in drei Skulpturengruppen gegliedert, die ebenso thematisch auf ebenso viele Schlüsselmomente in der Geschichte des Kolonialismus auf den Philippinen verweisen: 1521 die Ankunft der Magellan-Expedition und Magellans Tod durch die Hand eines Einheimischen; 1887 die Errichtung des Kristallpalastes und den revolutionären Kontext des philippinischen Nationalhelden und Autors José Rizal, der von den Spaniern als Rebell im Zuge der philippinischen Revolution exekutiert wurde; und schließlich der aktuelle kulturelle Konflikt zwischen amerikanischem Kolonialismus und indigenem Widerstand gegen den Import fremder kultureller Vorbilder. Darunter direkt zitierte Ikonen des amerikanischen Kinos wie Spiderman, Mickey Mouse oder Marilyn Monroe. Tahimiks Arbeitsweise besteht darin, großformatige, scheinbar chaotische Installationen zu schaffen, die ihm helfen, anachronistische Beziehungen narrativer Natur zu artikulieren – basierend auf historischen Quellen und zeitgenössischen Mythologien.
Während wir durch die Ausstellung schlendern, flüstert mir mein amerikanisch-philippinischer Freund seine Eindrücke und Gedanken zu. Er bemerkt: Die großformatige Abbildung von José Rizal ist durch eine Bearbeitung und somit Zugabe traditioneller Kleidung entfremdet und zugleich, der philippinischen Kultur entsprechend, der Sehgewohnheit für traditionsreiche Darstellungen angepasst. Er spricht über seinen inneren Konflikt, von der filipino diaspora, einem Begriff, der in den USA in den letzten Jahren sehr geprägt wurde, da in etwa 11 Prozent der Gesamtbevölkerung der Philippinen im Ausland lebt und arbeitet. Er spricht über seine Identität, die er erst dann zu verstehen beginnen konnte, als er sich mit der Kolonialgeschichte seines Landes auseinandersetzte. Die whitewashing culture in den USA hat ihn schon immer belastet, angefangen bei der Besetzungspraxis im Kino, bei der nicht-weiße Rollen von weißen Schauspielern besetzt werden bis hin zu den Schönheitsidealen, die einem im Alltag begegnen. Er erzählt davon, wie sehr auch ihn die amerikanische Sichtweise auf die Welt prägte, der er nun, als ein in den USA aufgewachsener Filipino, gehörig überdrüssig geworden ist. Er lobt die Ausstellung, die die Vergangenheit des Kristallpalastes, die Geschichte des Kolonialismus auf den Philippinen und den Einfluss des kulturellen Imperialismus heute aufzeigt.
Die erste Skulpturengruppe, die sich auf der rechten Seite des Palastes befindet, nimmt als Ausgangspunkt die Expedition von Ferdinand Magellan (1480-1521) und den Tod des portugiesischen Seefahrers bei den Zusammenstößen mit den Ureinwohnern auf der philippinischen Insel Mactán. Lapulapu, der Stammeshäuptling der Insel, widersetzte sich der Kooperation mit den Eroberern und gilt als Symbol des Widerstands der einheimischen Kultur gegenüber der der Eindringlinge. Magellan fällt zu Boden, umgeben von den Figuren von Lapulapu und seiner Frau, Königin Bulakna, die dem portugiesischen Entdecker den Gnadenstoß versetzte. Tahimik äußerte sich in einem Interview, in dem er sein Projekt erläuterte, zusammen mit dem Direktor des Museums Reina Sofía, Manuel Borja-Villel, dazu: „Der Kampf zwischen Magellan und Lapulapu ist auch ein kultureller Kampf.“ In derselben Installation spielt bei der Geschichte der Expedition der Sklave Ikeng, auch Enrique de Malaca genannt (geboren in Indonesien, Malaysia oder auf den Philippinen, ca. 1495), eine wichtige Rolle. Er vermochte es, gestützt auf traditionelles Wissen der Astrologie und seiner Naturkenntnis, Magellan durch die Meerenge hin zum Pazifik zu lotsen, die dann später unter dem Namen des portugiesischen Seefahrers bekannt wurde. Dieser Umstand, der von der offiziellen Geschichtsschreibung ignoriert wird, entspricht nicht der Version von Antonio Pigafetta (1480-1534), Chronist der Expedition, der Ikengs Rolle herunterspielte. An diesem Beispiel ist der Anspruch der Ausstellung als solche ablesbar: nämlich der einer Neuerzählung und Korrektur der Geschichtsschreibung. Im zentralen Teil des Palastes hängt ein aus Korbwaren zu einem Ring geformtes Gebilde indigener Gottheiten. Verwiesen wird damit auf den „dap-ay“ philippinischer Dörfer, einen kreisförmigen Ort der mündlichen Überlieferung, an dem der Tradition nach die Ältesten des Dorfes Geschichten an die nachfolgenden Generationen ihres Stammes weitergeben. Selbstverständlich muss dies als Metapher für die Ausstellung selbst gesehen werden. Tahimik äußerte sich folgendermaßen dazu: „Diese Gottheiten schauen nach unten in dem Wissen, dass der Kulturkrieg nicht sterben wird und dass wir den Widerstand leisten werden. Unsere Kultur ist stark.“
Weiter in der Ausstellung befindet sich eine zweite Installation, die uns in den Kontext der Philippinen-Ausstellung von 1887 führt, in der indigene Bevölkerung zusammen mit der Flora und Fauna des Archipels ausgestellt wurden, für die der Kristallpalast auch gebaut wurde. Die vom Überseeministerium geleitete Initiative sollte das Leben und die Kultur des von Spanien abhängigen philippinischen Archipels zeigen. Auf einem hölzernen Schild finden wir die Buchstaben „MadExpo 1887“ und auf einem Kruzifix „NUESTROS FILIPINOS CIVILIZADOS“ (unsere zivilisierten Filipinos). José Rizal, Verfechter der philippinischen Unabhängigkeit und Anführer der philippinischen Propagandabewegung, prangerte diese Ausstellung an und bezeichnete sie schließlich als einen Menschenzoo. Er, der sich der missbräuchlichen Behandlung seiner Landsleute bewusst war, wird hier mit einem Lendenschurz bekleidet gezeigt. Neben José Rizal erscheinen einige Figuren aus seinem Roman Noli me Tángere (1887), darunter Fray Dámaso und María Clara. Der Abschnitt symbolisiert die rassistische und imperialistische Vergangenheit der Philippinen-Ausstellung sowie die Korruption der spanischen katholischen Kirche sowie den indigenen Widerstand.
Der letzte Abschnitt repräsentiert die zeitgenössische philippinische Gesellschaft im Konflikt mit dem neokolonialen Einfluss der allgegenwärtigen amerikanischen Kultur. Zwischen Mickey Mouse, Spiderman, Wonder Woman und Bangkas (einheimische Boote der Philippinen) liegen zwei Holzschiffe. Eines trägt am Bug die Skulptur der Igorot-Göttin des Windes, das andere eine Skulptur von Marilyn Monroe. Die Mastspitze von Marilyns Boot ähnelt dem Pferd aus Picassos „Guernica“ (1937) und verbindet somit international anerkannte Bilder aus der spanischen und amerikanischen Kultur. Der Mast des Schiffes der Göttin Igorot hingegen trägt den Kopf eines wilden Pferdes, der über einem Stierkopf thront. Tahimik erklärt das Konzept der Installation so: „Es ist ein bis heute andauernder Kulturkampf, in dem Hollywood all unsere Geschichten dominiert. Das war meine Art, Hollywood mitzuteilen, dass es verschwinden soll, dass wir unsere eigenen Erzählungen haben, dass wir ihre Geschichten über Sex und Gewalt satthaben und dass wir unsere eigene Mythologie haben.“ Neben Marilyn und der Disney-Welt sind in der Ausstellung nämlich auch andere Helden der amerikanischen Populärkultur wie Spiderman, Captain America oder Wonder Woman vertreten. Für den philippinischen Künstler gilt: „Diese Superhelden besiedeln uns weiter, sie sind wie ein kultureller Virus“: Er stellt sie auf Raketen der amerikanischen Armee dar, die er mit lokalen Schutzgottheiten der Philippinen konfrontiert.
Tahimik fordert eine postkoloniale Neuerzählung und streut nuancierte Gegenerzählungen ein. Diese Arbeit präsentiert komplexe und unvollendete Erzählungen, die überarbeitet wurden und im Kontext der bewegten Geschichte des Palacio de Cristal und Spaniens betrachtet werden müssen. Im Informationsaustausch mit den Medien hob Manuel Borja-Villel hervor, dass Kidlak Tahimik ein von Susan Sontag und Coppola anerkannter Filmemacher ist, der stets Elemente unserer Gesellschaft hinterfragt. Der philippinische Künstler seinerseits, gekleidet in einen Lendenschurz und traditionelle philippinische Kleidung, sagte, dass er dieses Outfit als Erinnerung und Hommage an die Ureinwohner trägt, die vor 135 Jahren in demselben Kristallpalast zur Schau gestellt wurden und weiter: „Ich bin kein Historiker, sondern ein Künstler, der mit der Geschichte spielt, weil immer die Sichtweise der Historiker und Kolonisatoren eingenommen wird und ich hier die Wahrnehmung der Kolonisierten darstellen wollte.“