Paula Modersohn-Becker in der Kunsthalle Schirn

Die Kunsthalle Schirn zeigt eine umfassende Retrospektive der Künstlerin Paula Modersohn-Becker. Die Ausstellung zeigt 116 Werke, darunter Zeichnungen und natürlich ihre prägnanten Bilderserien. Wie wurde ihr Werk rezipiert und wie rezipierte sie die Werke anderer Künstler:innen? Was macht Paula Modersohn-Becker zu einer frühen Vertreterin der Avantgarde?

Die Kunst von Paula Modersohn-Becker

Vor allem die Porträts und Landschaften von Paula Modersohn-Becker haben heute ihren festen Platz in der allgemeinen Wahrnehmung der Künstlerin. Unbestritten ist die Faszination, die sie für die Menschen und die Bevölkerung im Teufelsmoor rund um Worpswede empfand: Ein zentrales Merkmal und Teil des Wiedererkennungswerts ihres künstlerischen Schaffens. Zu Beginn ihres Schaffens sind die starken Einflüsse des Impressionismus in ihren Bildern zu finden, doch entwickelte sie schnell ihre eigene Bildsprache.  

Während ihrer Aufenthalte in Paris lernte Paula Modersohn-Becker die Werke der Künstlergruppe Nabis kennen, die sich auf die Suche nach reduzierten Formen und überzeitlichen Darstellungsmethoden gemacht hatte. Inspiriert durch die Nabiskünstler studierte sie japanischen Holzdruck und übertrug die entdeckten Techniken auf die Menschen und die Landschaft rund um Worpswede. Wie Paul Gauguin die Südseebevölkerung studierte, so untersuchte Paula Modersohn-Becker die Bauern und Bäuerinnen im Norden Deutschlands, denen eine ähnliche ursprüngliche Naturverbundenheit attestiert wird wie den Bewohner:innen der Südsee. Eine Beschäftigung der Künstlerin mit Gauguins Werk ist nicht belegt, liegt aber nahe. 

Der Weg zur einfachen, ursprünglichen Darstellungsweise führt bei Paula Modersohn-Becker in die Reduktion von Formen und flächigen Farbaufträgen und legt damit schon die erste Strecke in Richtung Abstraktion in der Kunst zurück. Landschaft, Porträts und Stillleben Modersohn-Beckers bewegen sich stets auf der Grenze zwischen Individuum und Archetyp und zeigen einen ganz subjektiven Blick auf die Welt. Dieser war so individuell, dass sich die Zeitgenoss:innen der Künstlerin schwer damit taten, Wertschätzung dafür aufzubringen. Selbst in den Künstlerkreisen außerhalb der Kunstakademien, in denen sich Paula Modersohn-Becker bewegte. 

Gemälde, Landschaft mit Haus und Wald im Hintergrund.
Paula Modersohn-Becker. Dämmerungslandschaft mit Haus und Astgabel. Um 1900, Öltempera auf Pappe. Paula Modersohn-Becker. Alte Bäuerin mit gekreuzten Händen. 1907, Öltempera auf Leinwand. © Kunsthalle Bremen.

Die Künstlerin Paula Modersohn-Becker

Die Biographie Paula Modersohn-Beckers spielt sich im steten Wechsel zwischen Paris und der Künstlerkolonie Worpswede ab. Diese hatte sich als Gegenbewegung und im Protest gegen die Künstlerakademien mit ihren strengen Vorgaben und klar definierten Regeln der Ästhetik gegründet. 

In Worpswede nahm sie zunächst Unterricht, merkte aber schon bald, dass ihre Malweise dort nicht gefördert wurde. Mit ihrer Tendenz zu farbigen Flächen und einfachen Formen fand sie keinen Zuspruch; ihre erste Ausstellungsbeteiligung war kein Erfolg. Auf mehreren Reisen nach Paris besuchte sie zeitgenössische Ausstellungen und lernte Werke von Henri MatissePaul Cézanne und Auguste Rodin kennen. Daneben studierte sie die Sammlungen der großen Museen, allen voran des Louvre, wo sie sich vor allem für ägyptische Mumien und japanischen Holzschnitt begeisterte.  

Zeichnung einer Kirche mit Personen im Vordergrund.
Paula Modersohn-Becker. Notre Dame von der Seine aus gesehen. Um 1905, Bleistift auf Papier. © Grafik: Saarlandmuseum, © Foto: Sarah Hergöth.

Die Anregungen und Impulse, die sie aus den Pariser Ausstellungen, Museen und privaten Kunstakademien erhielt, verarbeitete sie dann in Worpswede. Der große Erfolg blieb ihr aber verwehrt. Sie finanzierte ihre künstlerische Tätigkeit mit Zuschüssen ihres Mannes und diverser Verwandter. Direkt nach ihrem Tod 1907 erfuhr ihr Werk dann große Popularität und sie wurde zu einer der bekanntesten Künstlerinnen der Zeit. Neben ihren Bildern, die von ihrem Mann Otto Modersohn und dessen Künstlerkollegen Heinrich Vogeler verbreitet wurden, machte ihre Biographie einen großen Teil ihrer Beliebtheit aus. Spätestens seit der Veröffentlichung einiger ihrer Briefe und Tagebuchauszüge 1917 wurde sie zunehmend verklärt: Paula Modersohn-Becker, die eigenständige Künstlerin, unverstanden in der männlich dominierten Kunstwelt, gefangen in einer unglücklichen Ehe und trotzdem ihren eigenen Weg gehend, immer geleitet vom Traum, erfolgreiche Künstlerin zu werden, nur um am Ende im Kindbett zu sterben. 

Die Ausstellung Paula Modersohn-Becker

Diese Edition ihrer Briefe aus dem Jahre 1917 prägte bis in die letzten Jahre das Bild der Künstlerin in der öffentlichen und wissenschaftlichen Wahrnehmung. Nach der ersten großen Werkschau im Musée de l’art moderne de la ville de Paris zeigt die Ausstellung in der Schirn einen äußert umfassenden Überblick über das doch sehr abwechslungsreiche und vielschichtige Werk der Künstlerin. Neben den in der Öffentlichkeit populären Selbstbildnissen und Landschaften um Worpswede werden auch unbekanntere Werke gezeigt. Neben Parisgraphiken sind vor allem auch die Aktzeichnungen bemerkenswert. Besonders ins Auge gefallen sind uns die eher ungewöhnlichen – merkwürdigen – Motive, die auf der Suche nach überzeitlichen Formen und lebensweltnahen Motiven entstanden: Stillleben mit teilweise witzigen Details oder überraschende Blickwinkel. Noch bis 6. Februar 2022 ist die Ausstellung in der Kunsthalle Schirn in Frankfurt zu sehen.  

PAULA MODERSOHN-BECKER – SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT 

Blick auf eine Wand mit vielen Grafiken.
Ausstellungsansicht in der Schirn © Foto: Sarah Hergöth.