Tiefdruck I: Die Radierung

Wer erinnert sich noch, was eine Radierung ist? In unserer neusten Ausgabe unserer Druckgraphik-Reihe stellen wir euch diese Technik genauer vor.

Das lateinische Verb radere heißt im Deutschen so viel wie kratzen, wegnehmen oder entfernen. Und genau das wird bei der Radierung auch getan, denn durch Kratzen oder Ätzen wird Material aus einer Druckplatte genommen. Und weil die Radierung zu den Tiefdruckverfahren gehört, wird in diese Hohlräume Farbe gerieben und die Platte mit hohem Druck fast schon in das Papier gedruckt. Anders als bei Hochdruckverfahren, wo die hochstehenden übrig gebliebenen Grate eingefärbt werden, ist es beim Tiefdruckverfahren genau umgekehrt, denn dort werden die (vertieften) eingekratzten oder geätzten Linien positiv gedruckt.

Die Geschichte der Radierung

Wie der Kupferstich entstand auch die Radierung spätestens im 15. Jahrhundert im Umfeld von Goldschmieden. Es wird vermutet, dass die ersten Radierungen entstanden, da die Schmiede ihre ziselierten Verzierungen auf Metallobjekten dokumentieren wollten, sie deshalb mit Farbe einrieben, um die Ziselierungen dann auf Papier zu übertragen. Während die Arbeit der Kupferstecher*innen viel Kraft und technisches Können benötigte, war der Vorteil der Radierung, dass das Einkratzen mit einer harten Radiernadel in das weiche Kupfer (Kaltnadelradierung) oder die noch weichere Wachs- oder Asphaltschicht auf der Platte (Ätzradierung) viel leichter von der Hand ging. Außerdem erlaubt diese Methode eine flüssigere Zeichnung. Im Laufe der Jahrhunderte erfanden zahlreiche Drucker*innen immer bessere Methoden, um Zeichnungen oder Fotografien in die Tiefdruckpraxis zu übernehmen. Spätestens seit dem 19. Jh. ist der Tiefdruck durch eine enorme Experimentierfreude gekennzeichnet. 

Die Druckplatte

Als Druckplatten werden heute üblicherweise Metallplatten verwendet. Meistens bestehen sie aus Kupfer, Zink oder Messing. Man kann aber auch Plastikplatten verwenden, wenn nur wenige Abzüge gewünscht sind, oder lichtempfindliche Fotopolymerplatten, um Fotografien einfach und wenig toxisch in den Druckprozess einfügen zu können. 

Wichtig ist, dass die Platte glatt poliert ist, sie verletzbar ist und mit den Druckfarben keine feste Verbindung eingeht. Da die Farbe durch hohen Druck mittels einer Walzenpresse aus den Tiefen der Platte herausgeholt wird, sollte die Platte einiges an Druck aushalten können.

Einblick in die Druckwerkstatt
Zwei Walzenpressen in der Druckwerkstatt; einfärben der Druckplatte Foto: Anja Köhne

Kaltnadelradierung

Es gibt zwei grundsätzliche Methoden, um die Druckplatte zu bearbeiten, die sich im Laufe der Jahrhunderte durchgesetzt haben, die Kaltnadel und das Ätzen. Bei der Kaltnadelradierung kratzt man direkt in die Metallplatte. Dadurch wird das Metall nicht entfernt, nur zur Seite geschoben. Je tiefer der Strich gerät, umso mehr Rand (genannt Grat) wird aufgeworfen und umso mehr Farbe verfängt sich beim Einfärben im Rand. Von hauchzarten Linien bis zum dunkelsten Schwarz ist mit der Stahlnadel alles machbar. Allerdings übersteht der empfindliche Grat nicht viele Drucke.

Ätzradierung

Für die Ätzradierung wird die Platte zunächst mit einer Schicht Wachs oder Asphalt abgedeckt. Dann wird diese Schicht mit einer Radiernadel verletzt, so dass die Ätzflüssigkeit anschließend die Platte genau dort angreifen kann, wo der*die Zeichner*in es bestimmt hat. Je nach Dauer des Ätzvorgangs können die Linien stärker oder zarter werden. Um seine Kohlezeichnungen originalgetreu drucken zu können, entwarf Marius Hollemann Anfang des 20. Jh. einen Ätzgrund, der so dünn war wie ein Korn des Kohlestaubs. Er presste die Kohlezeichnung gegen die mit Ätzgrund eingeriebene Platte, ätzte die von der Kohle verletzte Schicht und produzierte dadurch eine getreue Kopie seiner Zeichnung (Stijnmann 221).

Mezzotinto und Aquatinta

Das Ziel die zarten Verläufe von Zeichnungen oder auch Aquarellen auch im Druck umsetzen zu können, wurde schon sehr viel früher verfolgt. Im 17. Jh. zum Beispiel wurde die Schabtechnik (Mezzotinto) entwickelt, die es erlaubt, Grauwerte verlaufend und ohne Schraffuren als Fläche darzustellen. Für diese Schabtechnik wurde die Platte mit einem Wiegemesser durchgehend aufgeraut bis ein einheitlicher Ton entstanden war. Die Helligkeiten wurden dann in diesen Grauton hinein poliert. Diese Technik erlaubte erstaunliche Effekte, war aber sehr aufwändig. Jean Baptiste Leprince entwickelte zwischen 1765 und 1768 die Aquatinta Technik, die das manuelle Verfahren durch ein Ätzverfahren ersetzte. Der einheitliche Grauton wird mit dieser Technik durch einen Harzstaub erreicht, der in einem Staubkasten gleichmäßig auf der Platte verteilt wird. Durch Erhitzen werden die kleinen Staubkörner festgebacken. Die Platte kann nun geätzt werden. Der*die Drucker*in kann durch das Abdecken mit Asphaltlack Stellen gezielt vor jedem weiteren Ätzgang schützen, so dass Flächen mit unterschiedlichen Grauwerten entstehen können. Das Ergebnis erinnert an lavierte Tuschezeichnungen.

Fotografie

Auch wenn die aufkommende Fotografie im 19. Jh. zunächst von den experimentierfreudigen peintre-graveurs verpönt wurde, nahm auch sie spätestens mit den 1960er Jahren Einzug in den Tiefdruck. Diese Künstler*innen waren Drucker*innen, die jede Phase des Druckprozesses als künstlerischen Ausdruck nutzen wollten. Die Fotogravur ist eine Spielart des Ätzens mit einem Ätzgrund. Über eine lichtempfindliche Gelatineschicht wird eine Fotografie mit dem Ätzgrund verschmolzen. Heutzutage gibt es spezielle Polymerplatten, die schon mit einer lichtempfindlichen Schicht bezogen sind und direkt nach dem Belichten gedruckt werden können. Es gibt noch zahlreiche weitere Techniken und Möglichkeiten, den Tiefdruck künstlerisch zu nutzen. Für einen detaillierten Überblick empfehlen wir Ad Stijnmans Engraving and Etching 1400–2000 (2012).

Durch eine Kombination der verschiedenen Techniken und durch die Variationen, die der Ätzprozess erlaubt, aber auch durch das Benutzen von Farbe können Künstler*innen vielfältige Ergebnisse hervorrufen. Am Wochenende werden wir Euch Karin Brosa vorstellen, die genau diese Möglichkeiten der Radierung auslotet.