Im Gespräch mit: Sigrid Nienstedt

Intensive Farben und reliefartige Strukturen – Sigrid Nienstedts Œuvre lädt zum Dialog ein. Ihre Landschaftsdarstellungen, die sie selbst als Bildwirklichkeiten bezeichnet, offerieren Immateriellem eine Bühne und eröffnen Rezipient*innen ganz individuelle Zugänge. Wie Sigrid Nienstedt arbeitet, was und wer sie inspiriert und vieles mehr könnt ihr heute in unserem Interview mit der Künstlerin erfahren.

Mittlerweile ist es schon Monate her, dass wir die Künstlerin Sigrid Nienstedt bei ihrer Ausstellungseröffnung “Farben der Luft” in der Galerie Peripheri im Sudhaus Tübingen kennenlernen durften. Vertreten wird die in Krebeck lebende Malerin durch die Galerie Reinhold Maas in Reutlingen. Da die Ausstellung in Kooperation beider Galerien entstanden ist, konnten wir bei der Vernissage einem Talk zwischen Nienstedt und Reinhold Maas beiwohnen, der uns zu diesem Interview inspirierte. 

Ein Hafen, eine Straße mit Laternen, Bergketten an einem See – Nienstedts Landschaftsdarstellungen entführen die Rezipient*innen in bekannte Welten. Doch es sind keine real existierenden Orte. Nienstedt konfrontiert die Betrachtenden mit Imaginationen und Illusionen, die dennoch nicht fremd erscheinen. Durch den bewussten Einsatz intensiver Farbe und eines dicken Auftrags formen sich reliefartige Strukturen zu Alltagsszenen und Landschaftsmotiven. Diese dienen als Bühne für das Nicht-greifbare, das Immaterielle, wie Luft und Licht. Denn genau diese sind die Hauptakteure der Szenerien. 

Es sind Kunstwerke, die den Betrachtenden einen Raum zum Dialog eröffnen, die zum Nachdenken anregen und tief verankerte Emotionen wecken. So finden alle Rezipient*innen einen individuellen Zugang zu Nienstedts Werken. Dieser Zugang eröffnet sich auch in den Tierdarstellungen der Künstlerin. Hier kommt es zu einem intensiven Dialog – man könnte fast schon von einer Konfrontation sprechen – zwischen dem dargestellten Motiv und den Betrachtenden. 

Doch nun lassen wir die Künstler*in selbst zu Wort kommen. Freut euch auf einen ganz persönlichen Einblick in das künstlerische Schaffen Sigrid Nienstedts.

Die Künstlerin Sigrid Nienstedt sitzt mit einer Tasse in der Hand vor ihrer Staffelei.
Sigrid Nienstedt in ihrem Atelier. © Künstlerin.

Sigrid Nienstedt. Ein Interview.

Liebe Sigrid, wann und wie bist du zur Kunst gekommen?

Ich wusste schon sehr früh, dass ich etwas Künstlerisches machen möchte. Aber ich hatte als Kind und Teenager noch keine klare Vorstellung, was genau. Dennoch habe ich meine Freizeit damals schon immer mit zeichnen und malen verbracht.

So war es also schon immer irgendwie dein Wunsch Künstlerin zu werden. Wie schön, dass du dich ja dann sogar für ein Kunststudium entschieden hast. Dies hast du ja in Braunschweig absolviert, richtig? War das dein Wunsch, oder hat sich das per Zufall ergeben? 

Ich hatte damals 3 Mappen vorbereitet. In Düsseldorf habe ich eine Absage bekommen und als ich die Aufnahmeprüfung in Braunschweig bestanden hatte, habe ich die 3. Mappe, die für Karlsruhe bestimmt war, gar nicht mehr verschickt.

Woran bist du während deiner Studienzeit gewachsen?

Alles in dieser Zeit war sehr wertvoll für mich. Ich war zu Beginn des Studiums erst 19 Jahre und hatte keine Ahnung von nichts. Der Austausch mit den anderen war ganz wichtig und ich hatte einen fantastisch guten Professor, Ben Willikens, der uns sehr individuell gefördert hat.

Das klingt ja nach einem sehr familiären Kontext in deinem Studium. Und was gibt es Schöneres als eine individuelle Förderung. 
Hast du denn Wünsche für die Zukunft? 

Gerne würde ich zahlreiche gute und spannende Ausstellungsorte mit meiner Kunst bespielen.

Über eine in blau gerauchte Landschaft schweben gelbe und orange Wolken.
Sigrid Nienstedt. Lugano, blaue Stunde. 2020, 140×140. © Künstlerin.

Und wo siehst du dich in 10 Jahren?

Immer noch malend und mitten im Leben.

Hattest du denn ein ganz besonderes persönliches Highlight in den letzten Jahren?

Eigentlich sind alle Ausstellungen für mich Highlights.

Das ist ja auch wunderbar, wenn man das über alle eigenen Ausstellungen sagen kann, oder? Wie bleibst du denn up to date, was die dich umgebende Kunstbranche angeht?

Ich sehe mir viel Kunst und Ausstellungen bei Instagram an.

Liest du in deiner Freizeit kunsthistorische Literatur: online, in Buchform, Magazine, Blogs? Hast du Tipps? Hast du einen Liebling?

Ich bin erstaunt und begeistert von einigen jungen Künstler*innen. Von Caroline Walker zum Beispiel. Aber ich versuche auch Maß zu halten mit Input. Zuviel kann verwirrend wirken und die eigene Arbeit stören. Denn letztendlich entsteht die Qualität des eigenen Stils aus Konzentration und Vertrauen auf die eigene Ausdrucksform.

Über eine mit Straßenlaternen beleuchteten grünen Sportplatz rauschen dunkelgrüne Wolken.
Sigrid Nienstedt. Sportplatz. 2020, Öl auf Leinwand, 140x140cm. © Künstlerin.

Wie ist es dir im Coronajahr bis jetzt ergangen?

Zum Glück wurde keine Ausstellung abgesagt. Ausstellungen wurden verschoben und verlängert. Es war natürlich ein schwieriges Jahr. Aber ich konnte ja weiterarbeiten. Das ist für manche Kunstbranchen nicht möglich gewesen. Trotz allem hatte ich das Gefühl, dass das Interesse an Kunst eher zugenommen hat.

Das ist wirklich sehr schön, dass du weiterarbeiten konntest. Wo wir schon bei deinen Werken wären. Wie würdest du deine Kunst in drei Worten beschreiben?

Malerei, Landschaften, Tiere.

Und jetzt gerne etwas länger.

Meine Malerei wirkt auf den ersten Blick sehr klassisch. Auch ist das Dargestellte wiederzuerkennen. In gewisser Hinsicht scheint es vertraut. Daher ist ein Zugang auch für Laien nicht kompliziert, auch wenn sich das von mir Dargestellte zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion bewegt. Das Verfremdete und Neue der Bilder entwickelt sich erst bei längerer Betrachtung. Ich würde meine Malerei als Neo-Romantik bezeichnen. Eine Einordnung ist manchmal auch hilfreich.

Warum Malerei auf Leinwand?

Leinwand ist ein sehr geeigneter Bildträger. Ich habe anderes ausprobiert und ich kann nachvollziehen, dass es sich über Jahrhunderte als Technik so etabliert hat.

Woher nimmst du deine Inspiration?

Der Hunger nach Bildern treibt mich an. Die Inspiration entsteht durch Gesehenes, was mich begeistert. Das kann alles mögliche sein.

Eine dicke große gelbe Wolke schwebt über eine nasse breite Straße.
Sigrid Nienstedt. Straße und gelbes Licht. 2021, Öl auf Leinwand, 80x80cm. © Künstlerin.

Hast du Vorbilder?

Mein Lehrer, Ben Willikens, hat mich sehr geprägt. Auch einige bekannte Künstler sind Vorbilder, zum Beispiel William Turner, Frans Hals und Edward Hopper. Und natürlich bewundere ich auch Kolleg*innen.

Wie ist dein Schaffensprozess?

Eine Idee entsteht vage im Kopf, dann wird die Leinwand vorbereitet und eine Farbstimmung als Grundierung angelegt. Darauf folgt die Vorzeichnung.

Dann beginnt die eigentliche Malerei. Schichten, die immer wieder trocknen. Mehrere Arbeitsschritte sind nötig, damit die Malerei die von mir beabsichtigte Dichte und Wirkung bekommt. 

Struktur findet immer mehr Raum in deinen Werken. Warum?

Ich finde die Pinselschrift wichtig. Mit den leicht plastischen, pastosen Elementen im Bild, betone ich den Pinselgestus. Es verändert die räumliche Wahrnehmung. Eigentlich nicht körperhafte Elemente wie Luft und Licht erhalten an manchen Stellen Volumen und das, was in Wirklichkeit plastisch ist – zum Beispiel ein Tier, ein Haus oder ein Baum – ist im Bildgefüge eine ebene Fläche.

Weiße und rosa Wolken werden stürmisch über ein in das rote Abendlicht getauchtes Meer gewirbelt.
Sigrid Nienstedt. Ufer, rosa mit Sturmhimmel, 2020 . Öl auf Leinwand. 140x140cm. © Künstlerin.

Arbeitest du auch parallel an mehreren Kunstwerken oder wird immer nur eines bearbeitet und fertiggestellt?

In den letzten Jahren arbeite ich oft an mehreren Bildern gleichzeitig, das vermeidet, dass man sich an einem Bild „festmalt“.

Kommen wir zu deinen Landschaftsdarstellungen. Spielt der gezeigte Ort für dich eine spezielle Rolle? 

Sehr untergeordnet. Es geht immer um das, was die Landschaft im Bild transportiert, nicht um das, was sie in Wirklichkeit ist.

Sehr spannend. Was interessiert dich an der Verbindung aus Illusion und Materialität?

Ich möchte das man sieht, dass das Bild „gemalt“ ist. Es ist gemalte Bildwirklichkeit und nicht präzise dargestellte Wirklichkeit. Die Brüche im Gestus machen das deutlicher.

Hast du dich schon immer mit “Farbe” als primäres Ausdrucksmittel beschäftigt? Und welchen Stellenwert nimmt Farbe in deinen Arbeiten ein?

Farbe kann laut und leise sein. Die Intensität der Farbe kam später, die frühen Arbeiten waren noch nicht so stark farbig. Mich interessiert die Farbe, weil sie Kraft und Emotion ins Bild bringt.

Über den Rhein in der Stadt Düsseldorf schwebt eine ovale große weiß-rosa Wolke.
Sigrid Nienstedt. Düsseldorf. 2020, Öl auf Leinwand, 80x80cm. © Künstlerin.

Was möchtest du gerne mit deiner Kunst bewegen?

Ich würde mir wünschen, dass meine Bilder beruhigend und beunruhigend gleichermaßen wirken. Wenn jemand von einem Bild berührt wird, macht mich das glücklich.

Kannst du eine lustige Anekdote aus deinem künstlerischen Leben erzählen?

Meine allererste Ausstellung war ein ziemliches Fiasko. Sie war in Berlin, Anfang der 80er-Jahre, ich war noch Studentin und hatte natürlich wenig Geld. Damals habe ich Malerei auf Papier gemacht. Leider sind die sehr billigen Glasrahmen während der Vernissage einfach zersprungen und von der Wand gefallen.

Oder: In Köln hatte ich aus Platzmangel viele große Bilder auf dem Dachboden deponiert. Der Vermieter hat irgendwann eine kleinere Tür zum Dachboden einbauen lassen und  es stellte sich heraus, dass meine Bilder dann nicht mehr zurück durch die neue Tür passten. 

Oh no… Mit welchen Herausforderungen wir doch alle mal zu kämpfen haben. Vernetzung ist ja auch immer eine herausfordernde Sache. Wie vernetzt du dich in der Kunstszene?

Als Künstler*in arbeitet man eher zurückgezogen, aber ich vertraue darauf, dass die Galerist*innen gut vernetzt sind. Ich bin über meine Homepage und Instagram sichtbar.

Eine große Stadt wird von großen orange-roten Wolken vom grünen Himmel abgeschottet.
Sigrid Nienstedt. Grüner Himmel und große Wolke über Stadt. 2020, 80x80cm. © Künstlerin.

Was hältst du von unserer Idee eine Plattform für Kunst im Raum Tübingen aufzubauen? 

Kunstinteresse zu schaffen und zu unterstützen ist immer sinnvoll. Jede Generation erschafft sich neue Möglichkeiten und Zugänge. Es braucht immer jemanden der initiativ ist.

Wie wichtig schätzt du Social Media für die Kunstszene ein?

Es wird immer wichtiger.

Betreibst du selbst oder jemand anders Marketing für dich?

Das wird von anderen gemacht, allerdings laufen die Fäden bei mir zusammen.

Hast du Wünsche für die Kunstszene Tübingen und Reutlingen?

Ich erlebe den Raum als sehr kunstinteressiert und offen. Und hoffe natürlich, dass das so bleibt oder sogar wächst.

Hast du eine Kultur- oder Kunstinstitution, die du empfehlen kannst?

Ich schätze die Arbeit von Reinhold Maas sehr. Wir arbeiten nun schon mehr als 20 Jahre zusammen. Er ist für meine Präsenz in dem Raum in erster Linie verantwortlich.

Vor einer großen Leinwand steht die Künstlerin Sigrid Nienstedt.
Sigrid Nienstedt in ihrem Atelier. © Künstlerin.