Der unbekannte Prominente Tübingens – Wilhelm Pfeiffer

Malerei, Zeichnung, Holzschnitt, Linolschnitt, Batik, Lithographie, Radierung und Siebdruck – Wilhelm Pfeiffer war ein vielseitiger Künstler, der sich in den verschiedensten Disziplinen der Bildenden Künste ausprobierte. Doch sind es vor allem seine Skulpturen, die sich ins kulturelle Gedächtnis einschrieben und bis heute bekannt sind. 

Wilhelm Pfeiffer gehört, neben Ugge Bärtle, zu den bekanntesten Tübinger Künstler:innen, die die Stadt mit ihren Kunstwerken geprägt haben. Die „Sitzende” an der Johanneskirche zum Beispiel. Fast täglich verändert sie ihr Aussehen, hat Blumen, Kuscheltiere, Mützen oder Handschuhe in ihrem Schoß liegen. Die Interaktion mit dem Werk zeigt: Es fällt auf und lädt zur Auseinandersetzung ein. Im Bezug auf Wilhelm Peiffers künstlerisches Schaffen kann die „Sitzende” als prototypisch für seinen künstlerischen Prozess verstanden werden. 

Wilhelm Pfeiffers Plastik Sitzende. Eine Frauenfigur sitzt auf einem Stein, die Beine untereinander geschlafen, linker Arm hängt herab, rechte Hand ruht auf linkem Oberarm.
Wilhelm Pfeiffer. Sitzende. Bronzeplastik. 1982. Foto: Sara Heinzelmann-Wilhelm

Plastik zwischen Individualität und Idealisierung 

Die „Sitzende” ist aber nicht locker oder szenenhaft arrangiert: Sie folgt strengen Kompositionsmustern: Der angewinkelte Arm ist das Pendant zum angewinkelten Bein, das wiederum die Linie Schienbein-Oberarm aufgreift. Mittelpunkt der Komposition ist der Berührungspunkt von Knie und Ellenbogen, der die Blickachse der Figur unterstreicht. Diese komplexen Beziehungen der einzelnen Bestandteile im Aufbau rücken die Figur aus dem Genrehaften hin ins Ideale – nur die feine Ausarbeitung des Haares lässt einen Hauch von Individualität an der Plastik haften. Sitzende, Stehende, Paare, Mutter mit Kind – solch alltägliche, fast genrehafte Motive stehen im Zentrum des bildhauerischen Werks Pfeiffers. Gleichbleibender Fokus ist dabei die Suche nach den Grundformen, nach idealtypischen Haltungen und Gesten.

Wilhelm Pfeiffers Skulptur Mutter mit Kind aus dunklem Stein. Die Mutter sitzt aufrecht, ihr linker Arm liegt um das Kind im Schoß. Sie trägt einen Schleier und Umhang.
Wilhelm Pfeiffer. Mutter mit Kind. Skulptur aus Diabas. 1990. Foto: Maik Hanicz.

Skulpturen mit überzeitlichen Bezügen

Das Miteinander von Ideal, Grundform und Individualität findet in Wilhelm Pfeiffers Werk immer neue Ausdrucksmöglichkeiten und Ausformungen. In „Mutter mit Kind” gehen Grundform und Motiv auch eine inhaltliche Verbindung ein. Die Figur nähert sich an eine Eiform an – das Kind sitzt nicht nur auf dem Schoß der Mutter, es scheint aus ihm empor zu wachsen. Mutter und Kind verschmelzen zu einer Grundform. So wird die Aussage weg vom konkreten Figurenpaar hin zur Allgemeingültigkeit verschoben: Aus „Mutter mit Kind” wird „Fruchtbarkeit, Fortpflanzung, Tradition” – worauf eben auch die Eiform verweist. 

Wilhelm Pfeiffer. Hockende. Skulptur aus Diabas. 1970er Jahre. Foto: Maik Hanicz

Noch deutlicher wird diese Tendenz zur Grundform an der „Hockenden”. Die trauernde Figur hat die Beine angezogen und hält sie mit dem Armen umschlungen, ihr Kopf ist gesenkt. Die äußere Form nähert sich beinah komplett einem Quader an. Deutlicher kann Verinnerlichung nicht gezeigt werden.

Wilhelm Pfeiffers Sgraffito an der Fassade seines Ateliers zeigt die Musen. Die Figuren sind flächig in weiß, rot und grün angelegt: Ein Bildhauer mit Skulptur, eine sitzende Lesende und eine Figur mit Masek und ein sitzender Flötespieler. Am Ende ein kleiner Hund.
Wilhelm Pfeiffer. Die Musen. Sgraffito. 1967. Foto: Maik Hanicz.

Wilhelm Pfeiffer in der Fläche

Über dem großen Doppeltor, das in sein Atelier führte, brachte Pfeiffer ein Sgraffito an, das eine Hommage an die Musen zeigt: die Literatur, die Musik und die bildende Kunst in Form der Bildhauerei. An ihm ist zu sehen, dass die Balance zwischen Grundform und Individuellem für Wilhelm Pfeiffer nicht nur im bildhauerischen Werk im Zentrum stand, sondern auch auf der Fläche fortgesetzt wurde. Während Details in Gesicht und Haaren fein ausgearbeitet sind, suchen die Farbflächen und Kompositionslinien die idealisierten, allgemeingültigen Formen. 

Sein Ateliergebäude in Hirschau stand lange Zeit leer und verfiel zusehends. Eine Auflage des Ortschaftsrates für neue Besitzer:innen lautete: Die Geschichte des Hauses bewahren, was vor allem die Erhaltung der Kunst am Bau beinhaltete.

Im Sommer 2020 wurde das Atelier Wilhelm Pfeiffers in Hirschau verkauft und nach und nach saniert. Die Kunst an der Fassade präsentiert sich nun in ganz neuem Licht und erinnert an einen der fleißigen Künstler, der die Stadt Tübingen so nachhaltig prägte.

Das Foto zeigt das renovierte Ateliergebäude Pfeiffers (heute Wohnhaus). Es liegt direkt an der Straße, hat ein dunkles Dach und ist weiß angestrichen. An der Fassade ist Pfeiffers Kunst zu erkennen.
Ateliergebäude Pfeiffers in Hirschau. 2021. Foto: Maik Hanicz.

Wer war Wilhelm Pfeiffer?

Wilhelm Pfeiffer wurde 1918 in Driedorf geboren und kam nach seinem Studium an den Kunstakademien Düsseldorf und Berlin 1951 nach Tübingen. Dort war er Mitbegründer des Künstlerbundes und neben Ugge Bärtle das einzige Mitglied, das seinen Lebensunterhalt mit der Kunst verdiente. Ab 1967 hatte Pfeiffer sein Atelier in der Kingersheimer Straße in Hirschau. Zu diesem Zeitpunkt war er etablierter Künstler für Kunst am Bau: Er entwarf Sgraffito, Mosaike, Reliefs und Glasfenster für öffentliche Gebäude und Kirchen der Region. Sein Schwerpunkt lag allerdings bis zu seinem Tod 1991 auf Kleinplastiken.