Die Weltgeschichte im Kleinen: Die Klosterkirche in Bebenhausen

Die Klosterkirche von Bebenhausen ist nicht nur für die Bebenhäuser*innen etwas ganz Besonderes: Seit Jahrhunderten ist sie Gemeindekirche und Klosterkirche zugleich, Ort für Gottesdienste und dennoch Museumsraum. Wenn man sich als Besucher*in aufmerksam umschaut, kann man sie sehen: die großen und kleinen Dramen der Bewohner*innen des Klosters, die großen Architekturepochen in der Abgeschiedenheit des Schönbuchs, die Weltgeschichte im Kleinen. Solche Details machen die historischen Gemäuer jenseits der Ästhetik für Architekturnerds gerade interessant – und ich möchte heute meine Favoriten teilen.

Wir beginnen mit den Basics: Womit haben wir es in Bebenhausen eigentlich zu tun? Der erste Kirchenbau wurde 1228 geweiht. Die romanische Kirche legte den Grundstein für die Form des Gebäudes, das wir heute noch vor uns haben. Über dem Grundriss in Form eines lateinischen Kreuzes erhebt sich die Kirche im Typus einer konstantinischen Basilika (das Mittelschiff ist demnach höher als die Seitenschiffe). Von dieser ersten Bauphase sind noch die Seitenkapellen zu sehen, die den Chor mit einem geraden Chorabschluss einrahmen.

Die Gotik der Zisterzienser

Die Kirche von Bebenhausen orientiert sich damit an der Abteikirche des Zisterzienserklosters in Fontenay in Frankreich, die nur 50 Jahre vor der Klostergründung Bebenhausens errichtet wurde und wie kaum eine andere die Architektur der Zisterzienser prägte. Diese „Zisterzienserarchitektur“ positionierte sich bewusst in Opposition zu den Abteien der Benediktiner und ihren prunkvollen Kirchen. Im Mittelpunkt des Ordens standen Ideale wie Armut und Demut. 

Die Klosterkirche von Bebenhausen ist nicht nur für die Bebenhäuser*innen etwas ganz Besonderes: Seit Jahrhunderten ist sie Gemeindekirche und Klosterkirche zugleich, Ort für Gottesdienste und dennoch Museumsraum. Wenn man sich als Besucher*in aufmerksam umschaut, kann man sie sehen: die großen und kleinen Dramen der Bewohner*innen des Klosters, die großen Architekturepochen in der Abgeschiedenheit des Schönbuchs, die Weltgeschichte im Kleinen. Solche Details machen die historischen Gemäuer jenseits der Ästhetik für Architekturnerds gerade interessant – und ich möchte heute meine Favoriten teilen.

Die Abtei in Fontenay war eines der ersten Klöster, die diese abstrakten Ideale in die Sprache der Architektur übersetzten: klare Linien, wenig Licht, sparsamste Dekoration und einfache Materialien (in Fontenay ist bis heute der Kirchenboden aus gestampftem Lehm erhalten!). Auch der gerade Chorabschluss signalisierte nach außen, dass sich die Zisterzienser  von den Benediktinern abgrenzten. Deren Kirchen hatten halbrunde Chöre mit unzähligen kleinen angeschlossenen Kapellen – genug Platz für die vielen gestifteten Altäre, die von den Zisterzienser abgelehnt wurden. 

Die Seitenkapellen sind noch aus der romanischen Bauphase erhalten. ©Foto: Maik Hanicz.
Die Seitenkapellen sind noch aus der romanischen Bauphase erhalten. ©Foto: Maik Hanicz.

Die Kirche von Fontenay hatte auch deshalb so eine Strahlkraft, da sie parallel mit einem anderen Schlüsselbau der Architekturgeschichte errichtet wurde: St. Denis, dem Gründungsbau der Gotik. Der dortige verantwortliche Abt Suger und Bernhard von Clairvaux, Vertreter der Zisterzienser in diesem Konflikt, leisteten sich heftige verbale Schlagabtausche über Lichtdramaturgie, Abbildungsreichtum und Fensterflächen. Diese standen in der gotischen Bauweise im Zentrum der Architektur und sorgten für dramatische Inszenierungen der Liturgie – was die Zisterzienser als überflüssig und übermäßig prunkvoll erachteten. Somit kann man Fontenay auch als Gegenentwurf zu St. Denis verstehen.

Die Gotik setzt sich durch – allen strengen Regeln zum Trotz

Heute wird der schlichte Chorabschluss der Klosterkirche in Bebenhausen dennoch von einem großen Maßwerkfenster durchbrochen. – Aufhalten konnte Bernhard von Clairvaux die gotische Bauweise nicht. Ausgehend von St. Denis und der Ile-de-France setzten sich nach und nach aufwändige Rippengewölbe, Maßwerkfenster und bunte Glasfenster in ganz Europa durch. Der deutlichste Marker für diese Epoche in Bebenhausen ist aber nicht das Chorfenster, sondern der Dachreiter über der Vierung. Als Wahrzeichen Bebenhausens grüßt er die Besucher*innen schon von weitem, wenn er aus den Wipfeln des Schönbuchs auftaucht. 

Das große Maßwerkfenster im Chor der Kirche verstieß gegen die ursprünglich strengen Ordensregeln der Zisterzienser. ©Foto: Maik Hanicz.
Das große Maßwerkfenster im Chor der Kirche verstieß gegen die ursprünglich strengen Ordensregeln der Zisterzienser. ©Foto: Maik Hanicz.

Um 1400 hatten die Mönche in Bebenhausen durch Stiftungen, Pachteinnahmen und Abgaben ein ansehnliches Vermögen angesammelt. Der Dachreiter sollte nicht nur den Reichtum, sondern auch die weltliche Macht und den politischen Einfluss des Abtes nach außen tragen. Eigentlich undenkbar für einen Orden, der sich Bescheidenheit und Armut auf seine Fahnen geschrieben hatte! Dass der Turm heute noch steht, verdanken wir dem Umstand, dass sich die Zisterzienser über die Jahrhunderte hinweg von ihren strengen Grundsätzen entfernten, neue Deutungsmöglichkeiten ausprobierten und sich den moderneren Bauformen öffneten.

Von der katholischen Messe zum evangelischen Wortgottesdienst

Die Blütezeit des Klosters im 16. Jahrhundert endete abrupt mit der Einführung der Reformation in Württemberg. 1535 wurden die Mönche aufgefordert Bebenhausen zu verlassen. Herzog Ulrich von Württemberg begann mit dem Abbruch der Kirche, die nun nicht mehr benötigt wurde und den Auszug der katholischen Brüder festigen sollten. Er war schon bis zur Vierung vorangeschritten, als sein Sohn Herzog Christoph beschloss eine evangelische Klosterschule in Bebenhausen einzurichten. Statt den Idealen der katholischen Mönche sollten die Lehren der Reformation vermittelt werden. Die Schüler, begabte Jungen aus allen gesellschaftlichen Schichten, vollzogen aber einen ähnlichen Tagesablauf wie die Mönche. Auch ihr Alltag war strukturiert durch die Gottesdienste. Die Kirche wurde dafür in kleinerem Umfang wiederaufgebaut, woran die deutlich sichtbare Abbruchkante an der Langhauswand bis heute erinnert. Außerdem zeugt die Kanzel im Inneren von der neuen Zeit, in der die Choräle der Mönche durch Predigten der Gelehrten ersetzt wurden.

An der Langhaushochwand ist die Abbruchkante deutlich zu erkennen. ©Foto: Maik Hanicz.
An der Langhaushochwand ist die Abbruchkante deutlich zu erkennen. ©Foto: Maik Hanicz.

Die Anwesenheit der württembergischen Könige ab 1806 verlangte  dem Kirchenbau weniger radikale Umbauten ab – sie gingen vor allem konservatorisch vor, versuchten die Malereien des Mittelalters zu bewahren und die historischen Mauern zu schützen. Lediglich die Königsempore im südlichen Querhausflügel erinnert an die Zeit der Könige. Das letzte württembergische Königspaar, König Wilhelm II. und Königin Charlotte, waren aber dafür bekannt, dass sie sich lieber unter die Dorfbewohner*innen im Langhaus mischten.

Der schnelle Ritt durch die Geschichte Bebenhausens zeigt: Will man die Spuren der Geschichte lesen, lohnt es sich, ihre Handschrift zu erkennen und zu verstehen.