Peter Fischli im Kunsthaus Bregenz – Ist das Kunst?

Peter Fischli setzt sich mit der Frage nach der Charakterisierung von Kunst auseinander. In der aktuellen Ausstellung im Kunsthaus Bregenz beschäftigt er sich sowohl mit der Rolle, die das Kunsthaus als museale Institution für die Benennung von Kunst spielt, als auch mit dem Objekt selbst, das durch die Bearbeitung des*der Künstler*in zur Kunst wird.

Was ist Kunst? Mit dieser Frage werden wir in unserem Studium der Kunstgeschichte oft konfrontiert. Auch bei einem Museumsbesuch oder anderweitiger Auseinandersetzung mit Kunst bleibt die Frage nicht aus. Was definieren wir als Kunst? Wie definiert sich Kunst selbst? Wie definieren Künstler*innen Kunst? Kann man Kunst überhaupt definieren?

Fragen über Fragen, die keine einfache Antwort benötigen, sondern eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Thematik, den Protagonist*innen und den ökonomischen Gegebenheiten erfordern. 

Fischli / Weiss

Peter Fischli, zusammen mit dem bereits verstorbenen David Weiss Teil des Künstlerduos Fischli / Weiss, setzt sich mit der Frage nach der Charakterisierung von Kunst auseinander. In der aktuellen Ausstellung im Kunsthaus Bregenz, die noch bis zum 29. November 2020 besucht werden kann, beschäftigt er sich sowohl mit der Rolle, die das Kunsthaus als museale Institution für die Benennung von Kunst spielt, als auch mit dem Objekt selbst, das durch die Bearbeitung des*der Künstler*in zur Kunst wird. 

Das Kunsthaus

Bereits beim Betreten des Gebäudes fällt auf, dass etwas verändert wurde, etwas nicht stimmt. Peter Zumthor, Architekt des Kunsthauses am Ufer des Bodensees, hat nicht alleine die äußerliche Linienführung des Gebäudes gestaltet. Auch die Eingangshalle des Museums folgt seiner eleganten Formensprache. Die Flächen treten in ihrem edlen Charakter bewusst in den Hintergrund, um der ausgestellten Kunst Raum zu geben. Sie springen beim Betreten nicht ins Auge, werden in ihrer Zurückhaltung jedoch als wohl durchdachtes Element der Gestaltung wahrgenommen. 

Peter Fischli Ausstellungsansicht EG, Kunsthaus Bregenz, 2020; Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist, © Peter Fischli, Kunsthaus Bregenz.

Fischli bricht diesen Wahrnehmungsvorgang auf indem er ihn mit einem Moment der Irritierung unterbricht. Selbst bei dem ersten Besuch der Räumlichkeiten wird deutlich, dass etwas nicht in dieses Raumkonzept passen will. Die weiß getünchten Pressspanplatten, die die schwarzen Möbel verkleiden, stechen im ersten Moment ins Auge. Farblich und strukturell bilden sie einen Gegenpol zu der sie umgebenden klaren und schlichten Einrichtung. Billiges Material und eine grobe Oberfläche stellen den Stellenwert und die Wertschätzung der musealen Infrastruktur in Frage. 

Ist das Kunst?

Die Realität auf Video

Auf einem Flachbildfernseher, platziert auf einem Sockel aus Pressspanplatten, sind grelle, schnelllebige und kurz gehaltene Videos zu sehen. Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass es sich um GoPro-Videos handelt. Thematisch befassen sich die verschiedenen Sequenzen mit allen erdenklichen Sportarten. Zu sehen sind mit Adrenalin vollgepumpte Menschen, die Jetski oder Motocross fahren. Sie scheinen glücklich zu sein. Das eröffnen die intimen Einblicke, die der*die Betrachter*in durch die kurzen Filme bekommt. Die Herstellerfirma gibt an, für die gezeigten Videos auf die Aufzeichnungen tatsächlicher Nutzer*innen zurückgegriffen zu haben. Fischli macht sich diese zu Nutzen, filmt sie selbst ab und fügt sie zu einem neuen Arrangement zusammen. 

Peter Fischli Ausstellungsansicht EG, Kunsthaus Bregenz, 2020,Work, Summer 2018, 2018; Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist, © Peter Fischli, Kunsthaus Bregenz.

So lässt er die Grenzen der Realität mit der Inszenierung verschwimmen. Waren diese Grenzen womöglich schon vor seiner Verarbeitung nicht ganz klar, macht er den Vorgang sichtbar. 

Ist das Kunst?

Bronze

Als verbindendes Element, das auf allen Etagen der Ausstellung auftaucht, sind Boxen zu betrachten, die an der Wand platziert sind. Man kennt diese Vorrichtungen von zahlreichen Museumsbesuchen. Sie dienen meist dazu Informationsblätter für die Besucher*innen zur Verfügung zu stellen und halten sich dezent im Hintergrund, um der ausgestellten Kunst nicht den Raum streitig zu machen. 

Peter Fischli Installationsansichten der Ausstellung von Peter Fischli direkt nach dem Aufbau, 2020; Fotos: © Peter Fischli.

Peter Fischli kehrt auch hier die Sehgewohnheiten um und setzt die Boxen in den Fokus des*der Betrachter*in. Während er diesen Vorgang in der Eingangshalle des Museums mit der Verwendung eines minderwertigen Materials umsetzt, macht er sich hier das hochwertige Material Bronze zunutze, um die Sehgewohnheiten in Frage zu stellen. Die Behältnisse gehen gewissermaßen den Weg der Erkenntnis der Betrachter*innen über dieses Vorgehen mit, denn sie verändern sich in ihrer Funktion von Stockwerk zu Stockwerk. 

Während die Boxen im Erdgeschoss zwar durch das Material Bronze eine gewisse Aufwertung erfahren, dienen sie hier noch immer als Halterung für das Plakat der Ausstellung. Sie unterliegen einer schleichenden Verwandlung und entfliehen dieser profanen Nutzung. Im obersten Geschoss sind sie leer. Voll an Interpretationsmöglichkeiten und augenscheinlich leer an Inhalt. Sie haben ihre Funktion als Halterung verloren und die eines Kunstwerks angenommen. 

Ist das Kunst?

Zeitgenössische Pop Art?

Der Raum im ersten Geschoss ist gefüllt mit weißen Sockeln. Auf ihnen befinden sich Ansammlungen von Dosen, Taschen und Schachteln. Gegenstände, die uns im Alltag begleiten und uns diesen in Form von Verpackungen und Abfall oft schwer machen. Bereits die Pop Art hat sich künstlerisch mit diesem Phänomen befasst. Allerdings fand diese Auseinandersetzung aus einem anderen Blickwinkel statt. Heute haben die Gegenstände zunehmend einen negativ konnotierten Charakter, während in den 1950er und 60er Jahren das Massenprodukt auch einen positiven Aspekt des Lebens widerspiegelte. Unterstützt wird die zunehmende Anonymisierung von der künstlerischen Bearbeitung der Objekte. Die Gegenstände sind monochrom bemalt oder ausgeschnitten, sodass sie an Individualität und Werbewirkung verlieren. Allein die Form bleibt als Kunstwerk erhalten. Sind sie also echt oder Attrappen? Stehen sie stellvertretend für etwas oder stehen sie für sich?

Ist das Kunst?

Peter Fischli Ausstellungsansicht 1. OG, Kunsthaus Bregenz, 2020, Cans, Bags & Boxes, 2017–2019; Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist, © Peter Fischli, Kunsthaus Bregenz.

Die Kinderzeichnung

Künstler*innen, wie Wim Delvoye stellen in einer institutionellen Einzelausstellung selbstbewusst ihre Kinderzeichnungen aus und deklarieren sie damit als Kunst. Peter Fischli untermauert seine Behauptung, auch ein Aquarell, das einen Affen abbildet, aus seiner Kindheit wäre ausstellungswürdig, mit zahlreichen Skulpturen, die er im zweiten Obergeschoss raumfüllend präsentiert. Vierundzwanzig Versionen des Affens sind aus gelblichem Bauschaum gefertigt. Ein Material, das meist nicht sichtbar verarbeitet wird. Wenn es zu sehen ist, wird es mit etwas Unfertigem, im Bau befindlichen verbunden. Keineswegs entsteht bei der Betrachtung sofort die Assoziation eines fertiggestellten Kunstwerks. Die Skulpturen befinden sich also in einem Zustand dazwischen. Ob sie vor oder nach dem Aquarell entstanden sind, wird nicht ersichtlich. 

Ist das Kunst?

Die Auflösung 

Das dritte Obergeschoss eröffnet uns den Blick auf die Bronzeboxen in Form eines Kunstwerks. Allerdings wirft etwas Anderes Fragen auf. Große weiße Papierarbeiten zieren die Wände. Weiß sind sie, weil das Papier diese Farbe hat. Keinerlei Motiv oder künstlerische Auseinandersetzung mit der Oberfläche ist zu erkennen. Rund um die weiße Fläche wird es allerdings schwarz. Das Papier wurde angezündet und weist Spuren dieses Vorgangs auf. 

Peter Fischli Installationsansichten der Ausstellung von Peter Fischli direkt nach dem Aufbau, 2020, Fotos: © Peter Fischli.

Festgehalten, gar aufgehalten, in einem Moment der Auflösung. Nicht das, was der*die Künstler*in auf dem Material kreiert, sondern das Material selbst wird zum Werk. Entstanden im Sommer 2020, können die Wege der Interpretation leicht von dem alles beherrschenden Virus beeinflusst werden. Doch was man sieht ist ein leeres Blatt Papier, das in einem Vorgang der Auflösung oder der Zerstörung stillsteht. Zerstört, weil es leer bleibt? Verbildlichung der Vergänglichkeit, der wir alle unterliegen?

Ist das Kunst?

Das ist Kunst

Die Kunst von Peter Fischli regt uns dazu an, die Frage zu stellen: Ist das Kunst? In diesem Zusammenhang setzen wir uns mit dem Gedanken auseinander, was Kunst ist. Wir reflektieren, stellen in Frage und stellen individuell fest.

Eine allgemeingültige Antwort, was Kunst ist, wird es leider nicht geben, denn bei der individuellen Auseinandersetzung mit Kunst entstehen die unterschiedlichsten Gedanken, Zusammenhänge und Antworten. Fragt euch also selbst: Ist das Kunst?