Linien im Raum, Körper auf Papier – „pausen“ von Constanze Vogt

In der Galerie des Kunstmuseums Reutlingen stellt Constanze Vogt die Ergebnisse ihrer Arbeit in Reutlingen vor. Als 17. Stipendiatin der HAP-Grieshaber-Stiftung konnte sie sich während eines Aufenthalts in Reutlingen voll auf ihre Arbeit konzentrieren. Die daraus resultierenden Zeichnungen und dreidimensionalen Werke mit Faden zeichnen sich unter anderem durch den Fokus auf die entstehende Materialität aus.

Betritt man zurzeit die Galerie des Kunstmuseums Reutlingen, wird auf den ersten Blick klar: Hier hat sich jemand ganz explizit mit dem zur Verfügung stehenden Raum auseinandergesetzt. Die Kunstwerke mit ihrer minimalistischen Farbigkeit passen ausgezeichnet in das Gewölbe mit seinen weißen Wänden und Pfeilern, den großen Fenstern und dem einfachen, industriell wirkenden Boden. Zunächst blickt man auf baldachinartige Arbeiten, die von der Decke hängen. Tiefer im Raum warten Zeichnungen an den Wänden und wiederum Plastiken. Weiße Bodenarbeiten, die zunächst vielleicht wie Lichteinfall wirken mögen und schwarze Arbeiten, die mal am Boden und mal an der Wand installiert sind oder  wie schwarze Löcher im Raum zu schweben scheinen.

Constanze Vogt, die 17. HAP-Grieshaber-Stipendiatin, zeigt hier die Ergebnisse ihres Aufenthalts in Reutlingen: Vier unterschiedliche Werkserien, an denen sie zum Teil bereits länger gearbeitet hatte und die zum Teil hier in Reutlingen entstanden sind.

Linien im Raum

Die Objekte der Serie reifen scheinen zunächst recht einfach zu sein. Aus Baumwollgarn und Holzreifen zaubert Vogt filigrane Gebilde, die mit dem schwarzen Garn wie Linien im Raum wirken, die an den Reifen befestigt sind und nicht umgekehrt. Ähnlich einem mathematischen Modell liegen die Fäden oder Linien akkurat nebeneinander, überkreuzen sich in exakten Winkeln und verändern ihr Angesicht, je nachdem aus welcher Perspektive man sie betrachtet. Die weiße Wand dahinter wird zum Papier. Mehrere Arbeiten hintereinander verstärken den Effekt wie übereinandergelegte Schraffuren. Beim leisesten Lufthauch – etwa beim Vorübergehen – drehen sich die reifen um die eigene Achse. Dabei entsteht ein Flimmern, das die Augen täuscht (Bewegen die Fäden sich von allein aufeinander zu?) und einen in den Bann des Kunstwerks zieht.

Erst jetzt fragt man sich, ob diese Objekte von Menschenhand gemacht sein können. So handwerklich präzise sind die Fäden alle auf der gleichen Höhe um den Reif geschlungen, dass dieser parallel zum Boden schwebt. Nur die frei hängenden, unteren Enden sind nicht alle gleich lang und offenbaren so die Bearbeitung durch eine menschliche Hand.

  • Constanze Vogt. reifen. 2020, Baumwollgarn, Holzreifen. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. reifen. 2020, Baumwollgarn, Holzreifen. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. reifen. 2020, Baumwollgarn, Holzreifen. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. reifen. 2020, Baumwollgarn, Holzreifen. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. pausen. Ausstellungsansicht. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. pausen. Ausstellungsansicht. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.

Körper auf Papier

Wie Übersetzungen der dreidimensionalen reifen auf das zweidimensionale Papier wirkt die Serie o.T. (spira). Tatsächlich entstehen die Zeichnungen aber schon länger als die Fadenarbeiten, die erst in Reutlingen verwirklicht werden konnten. Auch hier liegen schwarze Linien auf Weiß nebeneinander; diesmal jedoch tatsächlich mit dem Fineliner an einem Lineal entlang gezogen. Da sie dicht beieinander liegen und sich überschneiden, meint man aber Tiefe und Dreidimensionalität wahrzunehmen. Man vermeint zunächst die Visualisierung eines amorphen, aber dennoch mathematischen Objektes vor sich zu haben, das auch aus einem Drucker stammen könnte.

Hat man sich ein bisschen eingesehen, erkennt man jedoch kleinste Verwischungen der Tinte und meint so den Arbeitsprozess nachvollziehen zu können. Hier könnte die Künstlerin angefangen haben; diese Linie liegt über den anderen. Das Auge fliegt in Spiralen das Blatt hinauf und wieder hinunter. Irgendwann endet es aber wieder am Startpunkt und man fragt sich, ob dieser nicht ein willkürlicher Teil des Zyklus ist. Die Betrachtung fordert so einige Zeit ein, auch wenn die Struktur schon auf den ersten Blick verständlich ist.

  • Constanze Vogt. o.T. (spira). 2018–2020, Fineliner auf Papier. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. o.T. (spira). 2018–2020, Fineliner auf Papier. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. o.T. (spira). 2018–2020, Fineliner auf Papier. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. o.T. (spira). 2018–2020, Fineliner auf Papier. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. o.T. (spira). 2018–2020, Fineliner auf Papier. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. o.T. (spira). 2018–2020, Fineliner auf Papier. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.

Zeit am Boden

Um Zeit geht es auch bei den Bodenarbeiten der Serie nähte. Vogt bearbeitet bei den Kunstwerken dieser Reihe einen Bogen Fotopapier so lange mit Nähmaschine und Polyestergarn, dass eine völlig andere Materialwirkung entsteht. In Spiralen ziehen sich die Nähte vom Rand des Papiers ins Innere und lassen dort eine annähernd runde Scheibe unberührt. Hier kontrastiert das weiße, hochglänzende Fotopapier mit den matten, unregelmäßigen Stellen der Übernähungen. Einzelne Fäden sind erkennbar. Löcher, die die Maschine gestochen hat, tun sich auf. Aus der Materialermüdung entsteht neues Material. Dabei treibt die Künstlerin nicht nur die Ausgangsstoffe an ihre Grenzen. Auch sie selbst sitzt nicht nur stunden-, sondern tage- und wochenlang an einer solchen Arbeit, bis der gewünschte Effekt eintritt. Die Linie, die der Faden hinterlässt, wird nicht nur Zeuge des Arbeitsprozesses, sondern auch der Zeit, die investiert wurde. Die Arbeit zu einem kryptischen Tagebucheintrag.

Schwarze Löcher

Die Serie pausen, die der Schau auch ihren Titel gibt, entsteht ebenfalls aus vernähtem Papier. Diesmal jedoch nicht mit weißem, schwerem Fotopapier, sondern mit schwarzem, dabei jedoch leichtem Kohlepapier, das sonst zum Durchpausen etwa an der Schreibmaschine genutzt wird. Constanze Vogt fügt viele der etwa A4 großen Blätter zu einem großen Bogen zusammen, die sie dann faltet und so in Form bringt. Die Arbeiten geben ihr Material zunächst nicht preis, man könnte meinen sie bestünden aus Plastikfolie oder feinem Flies. Die entstehenden Plastiken liegen am Boden, hängen an der Wand oder von der Decke und erscheinen aus der Ferne wie Risse im Raum oder wie schwarze Löcher.

Kommt man näher heran, offenbart sich das Raster der zusammengesetzten Papiere, das wiederum an ein mathematisches Modell erinnern mag. Bei Sonnenschein hat man zudem vielleicht das Glück, dass man eine Arbeit gegen das Licht des Fensters betrachten und dabei die feinen Spuren der Nähmaschine nachvollziehen kann. Feinste Löcher im Papier und zufällige Knicke zwischen den Faltkanten werden sichtbar. Letztere machen die Oberfläche der Arbeiten aus, indem sie sie in unzählige Polygone unterteilt. Die Plastiken schweben zwischen den Polen „mathematisch durch das Raster erfassbar“ und „kaum nachvollziehbarer Zufall im Faltenwurf“.

  • Constanze Vogt. pausen. 2019–2020, Kohlepapier, Garn. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. pausen. 2019–2020, Kohlepapier, Garn. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. pausen. 2019–2020, Kohlepapier, Garn. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. pausen. 2019–2020, Kohlepapier, Garn. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. pausen. 2019–2020, Kohlepapier, Garn. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. pausen. 2019–2020, Kohlepapier, Garn. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.
  • Constanze Vogt. pausen. 2019–2020, Kohlepapier, Garn. © Constanze Vogt, Foto: Elisabeth Weiß.

Kreisen in der Ausstellung

Constanze Vogts Arbeit prägen ein differenzierter Umgang mit dem Material, ein handwerklicher und zeitintensiver Arbeitsprozess und spätestens bei der Hängung der Ausstellung auch eine intensive Auseinandersetzung mit dem Raum. Die Choreografie der Ausstellung legt eine Reihenfolge zur Betrachtung der unterschiedlichen Serien nahe. Dabei bleibt sie aber nicht linear, sondern regt dazu an, den Raum kreisförmig immer wieder abzuschreiten und die Zusammenhänge der Serien zu verstehen.

Wir freuen uns darauf zu sehen, wie sich Constanze Vogt weiterentwickelt und was sie wo in der nächsten Zeit ausstellt. Und wir freuen uns auf zukünftige gemeinsame Projekte!

Die Ausstellung pausen von Constanze Vogt ist noch bis zum 06.09.2020 im Kunstmuseum Reutlingen / Galerie, Wandel-Hallen, Eberhardstraße 14, zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Samstag von 11:00 bis 17:00 Uhr, Donnerstag 11:00 bis 19:00 Uhr, Sonn- und Feiertag 11:00 bis 18:00 Uhr.