Im Gespräch mit: Madeleine Mesam

Madeleine Mesam – Künstlerin und Textildesignerin. Ihr Œuvre zeigt, wie eng diese beiden Bereiche zusammengehören, wie sehr sie ineinander verwoben sind. Ein Interview, das zeigt, dass die Fragestellungen an Kunst aus ganz unterschiedlichen Kanälen kommen können und spannende Diskussionen sich gerade in der Verknüpfung einzelner Fachbereiche ergeben.

Kräftige Farben, florale und organische Elemente, die zu abstrakten Formen verschwimmen und dennoch der Natur nachempfunden sind. Die Werke der Künstlerin Madeleine Mesam laden zum Verweilen ein. Sie ziehen alle Betrachter*innen in ihren Bann, wollen entdeckt werden. Ab dem 4. Juli 2020 ist ihr Werk „safety flowers II“ im Kunstverein Reutlingen in der Ausstellung „KUNST REUTLINGEN 2020“ zu sehen. 

Zuhause bei Madeleine Mesam. Work in progress. 2020. © Madeleine Mesam.

Madeleine Mesam ist studierte Textildesignerin mit einem Master in „Künstlerische Konzeption“. Sie arbeitet eng mit Annika Klaas (Mode- und Strickdesignerin) zusammen. Ihre Kollektion präsentierten sie in Paris und Berlin und verfolgen bis heute einen gemeinsamen Traum: ein Gemeinschaftsatelier.

Textildesign und Kunst sind  für Madeleine Mesam untrennbar. Jeder Entwurf ist für die Künstlerin ein eigenständiges Werk. Und ist nicht die Leinwand häufig Textilgewebe? Es sind sehr spannende Verknüpfungen, die sich durch die Auseinandersetzung mit dem Œuvre Mesams heraus kristallisieren.

Madeleine Mesam. Ein Interview.

Liebe Madeleine, wo wohnst du denn?

Ich bin gerade frisch nach Reutlingen gezogen. Dort habe ich sogar einen kleinen wilden, überwucherten Garten, mit allen möglichen Pflanzen und Büschen, die vorherige Bewohner*innen wohl mal gepflanzt haben. Gerade jetzt im Frühling werde ich fast jeden Tag von einer neuen Blüte irgendwo im Gebüsch überrascht.

Zuhause bei Madeleine Mesam. Ein Garten der Inspiration. 2020. © Madeleine Mesam.

Vor ein paar Wochen habe ich eine wunderschöne, pinke Pfingstrose geschenkt bekommen, die – wie ich finde – eigentlich jeden Tag nur noch schöner wird. Sie ist jetzt eigentlich ganz verwelkt; bis auf zwei, drei Blütenblätter sind alle abgefallen. Ich fand es richtig schön, zu beobachten, wie sie ihre Farbe komplett verändert hat und die Blätter am Ende ganz weiß waren. Ich werde versuchen, sie so lange wie möglich stehen zu lassen. 

Du beobachtest also gerne?

Ja, genau, Dinge, Szenen, Menschen. Durch Bilder in meinem Kopf und später durch Skizzen und Zeichnungen halte ich alles fest. Ich mag das Alltägliche, das für mich so viel Besonderes birgt. Ich mag Formen und Farben, unperfekte Dinge. Formen, die wonky sind – ich habe im Deutschen immer noch kein Wort gefunden, das es so gut beschreibt. Eigentlich bin ich immer ein bisschen suchend, mit einer Neugier für alltägliche Dinge, die ein bisschen anders und besonders sind. 

Für mich ist es deshalb wichtig, über meine Arbeit und Malereien sowie meine Umgebung zu reflektieren, Erfahrungen und Beobachtetes, Erinnerungen visuell zu verarbeiten. Ich würde mich auch als sehr intuitive Person beschreiben, wobei, eher immer abwechselnd intuitiv und reflektierend… weil das für mich zwei Vorgehensweisen sind, die in meiner Kunst miteinander spielen. 

Zuhause bei Madeleine Mesam. Kater Rudy auf Entdeckungstour. Vielleicht erinnert ihn die getrocknete Artischocke an seine ehemalige Heimat Spanien? 2020. © Madeleine Mesam.

Gerade habe ich mein Zimmer, in dem ich lebe und arbeite, es ist sozusagen mein Wohnatelier. Ich sammle gerne Dinge, liebe Pflanzen, Bücher, Seidentücher, Farben, Textilien. All die Dinge funktionieren als Erweiterung meiner Kunst und ergeben ein sich stetig wandelndes Stillleben.

Zuhause bei Madeleine Mesam. Ein Blick ins Atelier. 2020. © Madeleine Mesam.

Was und wo hast du studiert?

Tatsächlich war mein erstes Studium der Studiengang Kunstgeschichte in Tübingen, was ich aber nach zwei Semestern abgebrochen habe, um in Reutlingen erst Textildesign und danach im Master Künstlerische Konzeption zu studieren. 

Zuhause bei Madeleine Mesam. Ein Blick ins Atelier. 2020. © Madeleine Mesam.

Wie witzig. Vielleicht haben wir uns ja dann in der Burse schon mal gesehen. Umso schöner, dass wir uns “wiedergefunden” haben. Was hast du aus deinem Studium mitgenommen?

Der Raum, um zu gestalten und künstlerisch zu arbeiten, sich weiterzuentwickeln und Ideen auszuprobieren, ist für mich das Wertvollste, was mir mein Studium gebracht hat. 

Textildesign beeinflusst meine Kunst auf jeden Fall, vielleicht auch, weil ich beides nie wirklich getrennt betrachtet habe und jeden Entwurf, den ich mache, auch als Kunst sehe. Aus dem traditionellen Textildesign finden sich in meiner Malerei vor allem losgelöste florale Motive wieder, auch haben meine Arbeiten irgendwie eine textile Haptik. Ich male ja auch oft Stoffe und denke, dass ich im Allgemeinen durch mein Textildesignstudium eine spezielle Beziehung zu meinem Malgrund habe. Es ist eine Fläche, die gestaltet werden soll. Auch in den Techniken findet sich der Einfluss des Textildesigns wieder, da ich viel mit Siebdruck arbeite, sei es auf Stoff oder Papier, ich arbeite auch oft digital mit Photoshop und erstelle Collagen mit Cutouts aus meinen Malereien. Von diesen digitalen Collagen habe ich erst kürzlich, als das noch möglich war, an der Hochschule in Reutlingen einige auf teils 2m lange Stoffbahnen digital gedruckt. 

Prägend war auf jeden Fall auch mein Externsemester an der Kunstakademie in Stuttgart, wo ich wieder auf andere Herangehensweisen, Meinungen und Gestaltungsmöglichkeiten gestoßen bin. Dort konnte ich auch zum ersten Mal richtig frei arbeiten, was heute noch meine Malerei beeinflusst.

Ich habe also nicht geradlinig ein Studium durchgezogen und glaube, dass ich gerade daran gewachsen bin und sehe die letzten Jahre eher als eine große Zeitspanne, in der ich alle Möglichkeiten hatte, unter ganz vielen verschiedenen Einflüssen, von Orten, Menschen und Projekten, immer wieder weiterzumachen und künstlerisch zu arbeiten. 

Eine Zeitspanne der Inspiration, die sicher Wünsche, Träume, vielleicht sogar Ziele für später geformt hat? Wo siehst du dich denn in 10 Jahren?

Im März bin ich ganz frisch mit meinem Master fertig geworden. Von meiner Kunst kann ich noch nicht leben, aber arbeite definitiv daraufhin, ich würde auch sagen, dass das mein Hauptziel ist. 

Ich habe ganz vielfältige Ideen, arbeite auch immer parallel an vielen persönlichen Projekten und bin selbst schon ganz gespannt, in 10 Jahren zu sehen, was davon Wirklichkeit geworden ist! 

An Kooperationen habe ich auf jeden Fall großes Interesse, denn ich liebe z.B. die Carrés von Hermès, oder die Tapeten von House of Hackney, genauso wie Teppiche von CC Tapis. Es wäre schon toll, irgendwann einmal mit so großen Namen zusammenzuarbeiten. 

Gerade plane ich mit meiner Freundin Annika ein Buch zu machen. Wir haben für Oktober die unglaubliche Gelegenheit bekommen, ins Gastatelier auf die Insel Hombroich zu gehen. Dort wollen wir uns einen Monat lang komplett auf unser gemeinsames Buch konzentrieren, sozusagen die Fortsetzung unseres Projekts „A BIGGER COLOUR“. Unsere bestehenden Ideen sollen darin weitergesponnen werden. 

Ein großer Traum ist es, zusammen mit Annika ein Studio für verschiedene Projekte zu haben. Später auch eventuell mit einem Shop und auch genügend Platz, um Workshops zu geben und mit anderen Künstler*innen und Gestalter*innen zusammenzuarbeiten. 

Vielleicht ja auch mit Kunsthistoriker*innen, wie uns zum Beispiel. 🙂 Was waren deine persönlichen Highlights in letzter Zeit?

Ein ganz aktuelles Highlight ist der Designpreis, den ich zusammen mit Annika für unsere gemeinsame Masterthesis von der Fakultät Textil & Design der Hochschule Reutlingen bekommen habe. Wow! Gratulation!

Oh, danke! Letztes Jahr waren einige Highlights für mich dabei. Allen voran die Zusammenarbeit mit Annika, was wir schon so lange verwirklichen wollten und dann beschlossen haben, unsere Masterthesis zusammen zu machen. Überhaupt haben sich letztes Jahr viele Dinge ergeben: im Frühling wurde ich von der Galleri Golsa in Oslo angeschrieben, ob ich Lust hätte, bei dem Projekt „Got It For Cheap“ mitzumachen. 

Kannst du kurz erklären, was dahinter steckt?

Dabei handelt es sich um eine von Künstler*innen kuratierte Wanderausstellung, die in unterschiedlichen Städten auf der ganzen Welt gezeigt wird. Das Ziel des Projektes ist es, allen Menschen zu ermöglichen, Kunst zu kaufen, da die Arbeiten zu einem niedrigen Preis angeboten werden. Gleichzeitig soll es jungen Künstler*innen eine Plattform bieten, ihre Arbeiten zu verkaufen. Da habe ich natürlich gleich zugesagt und dafür ist dann die Serie „Bad Weeds Grow Tall / strangely intertwined and everything at once“ entstanden, 20 kleinere originale Arbeiten auf Papier mit einer Mischung aus Malerei und Siebdruck. Da aufgrund der aktuellen Situation keine Ausstellungen mehr möglich sind, haben die Organisatoren „Hot Paper Shop“ gegründet, eine digitale Plattform zur Präsentation und zum Verkauf der Arbeiten.

Dann waren da noch Ausstellungen in Reutlingen; gerade läuft ja auch noch die Ausstellung Kunst Reutlingen 2020 im Kunstverein, das ist auch toll, da dabei sein zu dürfen. Und da sie glücklicherweise wieder geöffnet hat, wird mein Werk auch wieder zu sehen sein.

Madeleine Mesam. Safety flowers II. 2019. © Madeleine Mesam.

Und dann war da eben die Masterarbeit mit Annika zusammen, die eigentlich fast das ganze letzte Jahr eingenommen hat und aus der sich so viele Projekte und Möglichkeiten ergeben haben. Zum einen waren da einige Fotoshootings, die wir schon lange mal umsetzen wollten und dann endlich auch gemacht haben. Wir konnten viele neue Kontakte knüpfen, wurden im September auf die Fashion Week nach Paris eingeladen und zum Abschluss, im Dezember, haben wir auch unsere erste Ausstellung in einer Ausstellungswohnung der Akademie Schloss Solitude in der Römerstraße in Stuttgart realisiert. Im Januar haben wir unsere Kollektion auch noch im Rahmen der Neo.Fashion in Berlin gezeigt. Das war wirklich ein volles und aufregendes Jahr. Letztes Jahr bin ich auch relativ viel gereist, habe mir in London (Tate Modern: „Pierre Bonnard. The Colour of Memory“; Saatchi Gallery: „Florence Hutchings“) und Paris (Musée Picasso: „Calder-Picasso“) Ausstellungen angeschaut und interessante und inspirierende Leute kennengelernt.

Madeleine Mesam. Keramik-Kollektion, 2019. © Madeleine Mesam.

Fashion Week in Paris: Wie kam es dazu? Wie war es? Was hast du mitgenommen? Was hat dich geprägt?

Annika und ich haben gerade an unserer Keramik gearbeitet, als ganz spontan ein Anruf mit einer Einladung nach Paris auf die Fashion Week kam. Das war so kurzfristig und überraschend, dass wir innerhalb von zwei Wochen eine Kollektion auf die Beine gestellt haben und damit nach Paris gefahren sind. Bis dahin existierte ein ganz neues Teil, das Sonnenblumenkleid („there’s no such thing as a negative sunflower“), ein paar Probeteile, ein Mantel und einige digitale Entwürfe für Seidentücher. Ausgehend von dem Sonnenblumenkleid, das sowieso unser Lieblingsteil war, bauten wir die gesamte Kollektion auf der Sonnenblume und allem, was sie für uns birgt, welche Geschichten sie als Teil alter Arbeiten erzählt, auf. Wir durchsuchten unser Archiv aus Textilien, Proben, Zeichnungen, kombinierten und mischten Verworfenes und Geliebtes, Farben, Muster und Materialien. 

Auch dort haben wir natürlich wahnsinnig viele neue Eindrücke bekommen, neue Leute kennengelernt und es war einfach eine tolle Möglichkeit auf so einer großen Plattform unsere Ideen präsentieren zu dürfen. 

Was auch spannend war, war eine für uns neue Arbeitsweise kennenzulernen – wir mussten ja extrem schnell arbeiten, schnelle Entscheidungen treffen und „einfach machen“. Das hat unsere Arbeit und Kollektion weitergebracht und angetrieben, wir haben nicht nur Stoffe und Kleidungsstücke unserer vorherigen Kollektionen recycelt, sondern auch Ideen wieder aufgegriffen, die schon mal da waren, aber noch nicht umgesetzt wurden. So haben wir viele neue Impulse bekommen, die neue Ideen generiert haben.

Ich finde es auch jedes Mal erstaunlich, wie kreativ und produktiv man unter Zeitdruck sein kann und was für grandiose Endergebnisse plötzlich vor einem liegen können. Klingt auf alle Fälle nach einer sehr intensiven gemeinsamen Zeit mit Annika. Das hat euch beide sicher noch mehr zusammengeschweißt. 
Nun zu einem ganz anderen Thema: Wem folgst du gerne auf Instagram? Liest du gerne Kunstblogs, kunsthistorische Bücher oder vielleicht Künstler*innen-Monografien? 

Ich verfolge viel über Instagram, ein paar meiner Lieblingsaccounts von Künstler*innen sind Johanna Dumet und Florence Hutchings, das Duo Marion Jdanoff und Damien Tran und Malou Palqmvist, die mit Keramik und Skulpturen arbeitet. 
Ich liebe auch den Account von Hermès oder doan_ly , die Floristin und Fotografin ist und palomawool,  die sich mit Kunst, Fotografie und Mode beschäftigt. Aber da gibt es auch noch ganz viele andere! 

Blogs lese ich auch gerne, um aktuelles mitzukriegen. Ich mag zum Beispiel artmazemag.com, metalmagazine.eu, itsnicethat.com – da gibt es oft Interviews mit jungen Künstler*innen oder Designer*innen.

Und ich habe einen ganz tollen Podcast entdeckt: The Artfully Podcast – zwei Engländerinnen, die sich über Kunst, ihre letzten Ausstellungsbesuche und Kunstgeschichte unterhalten.

Ich habe auch ein paar Lieblingsbücher, an die ich mich immer wieder wende. Das sind zum Beispiel Ann-Katrin Hahn „Matisse – Die Hand zum Singen bringen“ oder David Hockney „A Yorkshire Sketchbook“. Eines meiner Lieblingsmagazine ist eine Ausgabe von Milk Décoration „Céramique, terre d´expression“. 

Beeinflusst die momentane Situation und die vielen Einschränkungen wegen SARS-CoV-2/ Covid 19 dein Leben und deine Arbeit?

Extrem eingeschränkt fühle ich mich eigentlich nicht. Was mir fehlt, ist das Drucken, was zur Zeit ja nicht geht. Auch den Austausch und das direkte Zusammenarbeiten mit anderen vermisse ich schon. Es ist dieses gemeinsame Schaffen, das einen oft wieder motiviert und inspiriert, was gerade einfach nicht möglich ist. Zum Beispiel haben Annika und ich geplant, noch einen Fashion-Film zu drehen, aber ich bin mir sicher, dass wir den umsetzen, sobald es wieder geht. 

Zuhause bei Madeleine Mesam. Ein Blick ins Atelier. 2020. © Madeleine Mesam.

Gleichzeitig kann ich für mich der Situation auch positive Seiten abgewinnen. Alles hat sich verlangsamt, so hat man auch wieder mehr Zeit Pläne zu schmieden, zu träumen, sich auszumalen, was möglich wäre, ohne dass es direkt umsetzbar ist. Das gewährt einem eine gewisse Freiheit – finde ich – mehr auszuprobieren und mehr für möglich zu halten. Außerdem ist endlich mal wieder Zeit, zu reflektieren und sich anderen Dingen zu widmen, wie dem Lesen, dem Kochen und für mich seit neuestem auch dem Gärtnern. Gerade habe ich eine Ochsenherztomate gepflanzt. Mal schauen, wie die sich so entwickelt. 

Und auf jeden Fall beeinflussen auch all diese Dinge, die man jetzt so tut, irgendwie die künstlerische Arbeit. Da bin ich schon gespannt, wie sich das zeigen wird. Das wird man dann wohl in ein paar Monaten oder Jahren sehen. 

Das denke ich auch, dass alles, was wir jetzt machen und erleben einen Ausdruck in unserem zukünftigen Schaffensprozess finden wird. Ich bin auch schon ganz aufgeregt, wie es sich zeigen und umsetzen wird. Auch in deiner Kunst! Wie würdest du denn deine Kunst in nur einem Satz beschreiben?

Paintings and prints, colours and shapes and everything in between.

Zuhause bei Madeleine Mesam. Ein Blick ins Atelier. 2020. © Madeleine Mesam.

Spannende Kombinationen. Wo siehst du den Schwerpunkt deiner Arbeit?

In der Verschmelzung von Malerei, Druck und Mode. Ich bin fasziniert von kräftigen Farben und organischen Formen. In meinem Prozess ergründe ich das Zusammenspiel von Formen, Umrissen und Farben. Dabei interessiert mich auch, Realistisches und Abstrahiertes zu verbinden und zu erforschen. Es geht viel ums Erforschen und das Suchen. Alltägliche Objekte, meine Umgebung, die Natur und ihre einzigartigen Formen, Erinnerungen und Erfahrungen setzen sich in mir fest und werden in meinen Projekten verarbeitet. Für mich sind die unbeachteten, nicht sehr spektakulären Formen wichtig. Mit starken Farben und Kontrasten aufgeladen und übergroß dargestellt, in unterschiedlichen Materialien und Techniken, zelebriere ich sie und verleihe ihnen Bedeutung.

Dabei geht es immer auch um Emotionen. Die Form ist nicht nur eine Form, die Form agiert mit ihrer Umgebung. Sie agiert mit Farben, sie wird in Gesprächen schon fast personifiziert. Ich male die Welt um mich herum, wie ich sie sehe und empfinde, was mir wichtig ist und   verarbeite in meiner Kunst, was mir passiert. Meine Malereien sind überwiegend abstrakt, mit realistischen Elementen und zeigen später nicht mehr unbedingt die Erlebnisse oder Objekte, von denen ich erzählen will. Am Ende sollte gar nicht mehr von Bedeutung sein, um was für Objekte es sich gehandelt hat. Sie werden fast so sehr abstrahiert, dass es nur noch um die Formen und vor allem die subjektive Wahrnehmung und wiederum derer Darstellung geht. Auch die Wiedergabe der Stimmung, die diese Phasen und Stillleben für mich beinhalteten, spielt für meine Arbeit eine große Rolle. Wichtig ist dabei vor allem der Gebrauch der Farbe und dass sie, zumindest für mich, genau einen bestimmten Zeitpunkt widerspiegeln.

Kannst du mir das an einem Beispiel erläutern?

Zum Beispiel die Serie „pink feast”, „when and where“ und „safety flowers“.

Bei „safety flowers“ spielt beispielsweise schon der Titel auf meine Vorliebe für florale, abstrahierte Formen an. Die Malerei war die letzte in der Serie und ich griff dabei auf Pflanzen, Gemüse und Objekte zurück, die schon in den beiden vorherigen Arbeiten eine Rolle gespielt haben. Die Pflanzen und Blumen waren mittlerweile natürlich vertrocknet und blass, aber in neuen Zusammenstellungen wirkten sie für mich fast noch lebendiger und dynamischer, als in den Arbeiten zuvor. Es hatte sich in diesem Projekt viel angesammelt, es war viel los und das wurde in diesem Bild durch die Dynamik der Formen und die starken, kontrastreichen Farben verarbeitet.  

Mit welchen Materialien arbeitest du? In und mit welchem Medium?

Mit ganz verschieden Materialien und Medien.
Ich arbeite mit Mode, Textilien, Papier, Leinwand, Keramik, Acrylfarben, Ölkreide aber auch immer wieder mit digitalen Medien (Photoshop, Indesign, Vacom Tablet). Ich brauche immer wieder die Abwechslung, die mir die unterschiedlichen Medien bieten und das bereichert auch meine Arbeiten, da ich mit unterschiedlichen Techniken unterschiedliche Möglichkeiten habe, die sich auch wieder auf andere Techniken anwenden lassen.

Zuhause bei Madeleine Mesam. Laptop auf und schon kann es losgehen. Die Künstlerin arbeitet mit Photoshop um Collagen aus ihren Malereien zu erstellen. 2020. © Madeleine Mesam.

Zum Beispiel arbeite ich gerne auch digital, erstelle Collagen oder seit neuestem auch digitale Zeichnungen. Der Wechsel zwischen Analogem und Digitalem gewährt mir Freiheit zu experimentieren. Im Digitalen kann ich viel schneller Farben und Zusammenstellungen ausprobieren und vor allem auch wieder problemlos rückgängig machen. So komme ich dadurch oft auf Farbkombinationen, die ich später auch in meiner Malerei mit Acryl anwende. Beide Techniken beeinflussen sich ganz natürlich.

Wie ist dein Schaffensprozess?

Mein Prozess wird viel von der Natur beeinflusst, ich glaube eher unbewusst. Ich halte mich viel draußen auf, in der Natur, mache Spaziergänge, reite. Dabei denke ich aber ständig über meine Arbeiten nach und finde oft ganz nebenbei Lösungen. Oft ist es dann eine Blume oder Pflanze, oder jetzt im Mai auch der Frühlingswind und die Felder, die bei mir Assoziationen und Ideen hervorrufen, die ich dann in meinen Arbeiten umsetzen will, wobei es eher die Stimmung als die Form ist. 

All das ist meistens der Anstoß für neue Arbeiten. Diese Impulse kombiniere ich dann mit Collagen, Formen und Motiven aus meinen früheren Arbeiten. Meine Arbeit beginnt im Kopf – die Farben und die Stimmung sind als erstes da.

Es gibt oft eine bestimmte Farbe, oder ein Farbgefühl. Häufig auch bestimmte Farbkombinationen, die mich nicht loslassen und die ich ausprobieren will, um zu schauen, wie sie sich verhalten. Diese Farben sind mehr so ein Gefühl, das plötzlich einfach da ist. 
Sie geben vor, in welche Richtung es geht. Im Laufe des Arbeitsprozesses werden sie auch oft gewechselt, übermalt, neu gemischt. 

Meine Farben sind expressiv und drücken die Stimmung aus. Ich nutze meine Arbeit auch, um mich an Farben anzunähern, mich an ungewohnte Farben zu gewöhnen und mit der Herausforderung umzugehen, mit ihnen zu arbeiten und sie funktionieren zu lassen. 
Intuition, aber dennoch auch Reflektion ist mir im Arbeitsprozess wichtig. Ich arbeite also intuitiv, prozesshaft und werde von einer Neugierde angetrieben, Dinge zu finden, visuell zu erforschen und zu hinterfragen. 

Außerdem ist für mich auch ein Schritt im Prozess, Zeichnungen von Objekten anzufertigen, durch die ich mich an die Formen annähere. Dabei geht es mir nicht um eine realistische Darstellung, sondern mehr um meine subjektive Wahrnehmung des Objekts. Ich habe ein Archiv von Zeichnungen, Erinnerungen und Fotos, das ich ständig erweitere und auf das ich zu Beginn einer neuen Arbeit oder Serie zurückgreife.

Arbeitest du auch parallel an mehreren Kunstwerken oder wird immer nur eines bearbeitet und fertiggestellt?

Ich arbeite immer an mehreren Malereien parallel.
Wenn ich bei einem nicht mehr weiter weiß, lege ich es kurz weg und arbeite an einem anderen weiter. So beeinflussen sich die Arbeiten gegenseitig. Meistens arbeite ich auch gleichzeitig in unterschiedlichen Medien. Wenn ich mal eine Pause von Acrylfarbe und Papier brauche, setze ich mich an den Laptop und zeichne und collagiere digital, bis es mich wieder zu meinen Pinseln und Farbtuben zieht.

Wie wählst du dein Material aus?

Das ergibt sich meistens einfach, was halt so da ist. Oft steht auch die Neugierde für ein Material im Vordergrund, wie es zum Beispiel bei der Keramik der Fall ist. Dann probiere ich einfach aus. Oder die Entscheidung richtet sich nach der Technik, wie zum Beispiel beim Siebdruck. Der funktioniert am besten auf Stoff. Gleichzeitig interessiert mich dann aber auch, wie sich der Druck mit Malerei verbinden lässt. Also male ich oft auf Stoff, drucke dann nochmal drüber und ergänze dann wieder mit Malerei. Mich treibt eigentlich immer an, Dinge auszuprobieren und auch zu beobachten, was funktioniert oder wie man es funktionieren lassen kann – da ich meistens auch nichts wegschmeiße, sondern auch wenn es für mich nicht funktioniert, eine andere Lösung dafür finden will. 

Zuhause bei Madeleine Mesam. Nichts ist besser als ein Sonnenbad. 2020. © Madeleine Mesam.

Inwieweit verknüpfst du Mode und Malerei?

Für mich hängt beides unweigerlich zusammen, das lässt sich gar nicht trennen. Woran ich gerade arbeite, beeinflusst ja alles andere was ich tue, weil es mich ganz einnimmt; und andersherum genauso: was ich anziehe beeinflusst meine Malerei, die Muster, die Farben von bestimmten Kleidungsstücken tauchen oft wieder auf.

Da ich auch oft so eng mit Annika zusammenarbeite, die ja Mode- und Strickdesign macht, beeinflusst mich auch ihre Arbeit sehr. Ihre Drapagen oder Strickteile, die ganz außergewöhnliche Formen annehmen können, inspirieren mich zu Zeichnungen. Meine Malereien bilden auch den Ausgangspunkt für meine Designs für Seidentücher oder Stricksachen oder für Prints. 

Mode und Kunst, Kunst und Mode. Mode ist Kunst. Was ist deine Meinung dazu?

Es ist doch eigentlich egal, ob man auf ein Kleidungsstück malt oder auf eine Leinwand – alles ist ein Stück Stoff. Der Unterschied liegt nur darin, wie man damit umgeht. Mode ist auch eine Kunstform. Ich will und halte es für notwendig, bewusst mit Mode umzugehen. Deshalb sind die Kollektionen, an denen ich mitarbeite, auch nicht unbedingt tragbar, sondern schränken manchmal eher ein und zwingen einen bewusster mit seinem Körper umzugehen. Durch manche Accessoires – wie ein seidener, sehr empfindlicher Handschuh oder im Kontrast dazu eine riesige, schwere Keramik, die einen hinten runterzieht – bewegt man sich anders, man wird schon fast selbst zur Skulptur.

Mode hat einen künstlerischen Wert, der nicht hinter ihrer Funktionalität stehen sollte. 
Man kauft nicht mal eben so ein Kunstwerk und so sollte es auch mit Mode sein. Sie soll wieder mehr Bedeutung bekommen und ein stärkeres Bewusstsein schaffen. Ich liebe und feiere die Mode und an ihr vor allem die Vielfalt an künstlerischen Ausdrucksweisen, die sie einem bietet. 

Zuhause bei Madeleine Mesam. Ein Blick ins Atelier. 2020. © Madeleine Mesam.

Hast du Vorbilder, seien es Künstlerfreund*innen oder historische Persönlichkeiten?

Ich würde sie nicht Vorbilder nennen, sondern eher Persönlichkeiten, die mich inspirieren und motivieren. Darunter ist auf jeden Fall Georgia O’Keeffe, an der mich nicht nur ihre Kunst, sondern auch die Art, wie sie ihr Leben geführt hat, fasziniert. 

Henri Matisse, David Hockney und Alexander Calder sind Künstler, an die ich mich immer wieder wende, genau wie die Textildesigner Josef Frank und Alexander Girard
Laurence Lennaert ist auch so eine Inspiration für mich, genau wie Après Ski oder palomawool.

Annika Klaas, die ich im Bachelorstudium kennengelernt habe und mit der ich seitdem immer wieder zusammenarbeite, Projekte realisiere und Ausstellungen besuche, ist auch eine Inspiration für mich. 

Hast du ein Lieblingswerk einer*s anderen Künstler*in?

Da kann ich mich gar nicht auf eins beschränken. Ich liebe Henri Matisse´s Arbeiten für „Jazz“. Die schaue ich mir oft an. David Hockney’s iPad Zeichnungen, Georgia O’Keeffe’s Malereien, eigentlich alles von ihr. Johanna Dumet’s neue Serie „Les petits objets du désir“, Florence Hutching`s „Clothes on a Rail”. Das sind nur ein paar. Das ändert sich bei mir aber auch je nach Phase, ob mir gerade nach Minimalistischem oder Überfülltem ist.  

Welche deiner Arbeiten ist dein Lieblingswerk?

Wenn dann, immer das, woran ich gerade arbeite, was aktuell ist und mich in dem Moment beschäftigt.

Madeleine Mesam. There’s no such thing as a negative sunflower. © Madeleine Mesam.

Wenn ich eines nennen müsste, dann wäre es die „negative Sonnenblume“ (Titel: „there’s no such thing as a negative sunflower“). Die ist letztes Jahr im Rahmen meiner Abschlussarbeit entstanden und ist eine Arbeit, auf die ich mich immer wieder berufe. Sie hat die ganzen Arbeiten, die nach ihr kamen, so stark beeinflusst und die Form, die übergroß darauf dargestellt ist, taucht immer wieder auf. 

Nun habe ich noch ein paar Fragen zur Kulturvernetzung. Wie vernetzt du dich in der Kunstszene?

Ich denke daran kann ich sicher noch mehr arbeiten. 
Ich besuche oft Ausstellungen, gehe auch jedes Jahr zum jährlichen Rundgang an die Kunstakademie in Stuttgart. Aber am meisten bringt mir eigentlich wirklich Instagram. Ich bin immer wieder erstaunt, dass dadurch wirklich Kontakte entstehen können. Zunächst virtuell, was ich definitiv auch zu schätzen weiß, aber ich habe mich auch schon mit vielen Kontakten im echten Leben getroffen. Das ist so bereichernd und inspirierend. 

Würdest du dich als gut vernetzt sehen?

Ich fange gerade erst an und ich denke, so etwas baut sich sicherlich erst nach und nach auf. Ich sehe schon, dass ich wesentlich mehr vernetzt bin als noch vor ein paar Jahren und freue mich noch auf viel mehr Kontakte.

Auch da finde ich Instagram wieder eine super Plattform, die einem da viele Möglichkeiten bietet. Vor allem zurzeit, wenn es nicht wirklich möglich ist, sich real zu treffen.  

Was hältst du von der Stadt Reutlingen als Kulturstadt und ihrem Verhältnis zur Kunst? 

Ich habe mich schon immer vor allem durch den Kunstverein unterstützt gefühlt, entweder als Plattform zur Präsentation meiner eigenen Arbeiten, oder als Raum für Inspiration und neue Sichtweisen. Es gibt immer sehr gute Ausstellungen und was ich vor allem toll finde, dass sowohl sehr bekannte, als auch unbekannte Künstler*innen gezeigt werden.  

Was hältst du von unserer Idee eine Plattform für Kunst im Raum Tübingen aufzubauen? Sinnvoll? Verrückt? Unnötig?

Finde ich richtig gut, weil es fehlt und super und auch dringend notwendig für die Vernetzung untereinander! 

Vorbereitung für ein Shooting. 2020. © Madeleine Mesam.

Hast du Wünsche für die Kunstszene Tübingens und Reutlingens?

Obwohl ich in Reutlingen studiert habe, bin ich erst jetzt hierher gezogen und fange erst an, mich mehr mit der Kunstszene in Reutlingen und Tübingen zu beschäftigen. 

Ich würde mir mehr Informationen wünschen, über mögliche Ateliers oder Gemeinschaften. Und eben an sich mehr Vernetzung und auch Gemeinschaft , um zusammen etwas auf die Beine zu stellen. Vielleicht gibt es das in der Form auch hier schon und ich muss es erst kennenlernen. 

Aber das alles würde ich mir sowieso wünschen und bin froh, dass es euch jetzt gibt! 

Zuhause bei Madeleine Mesam. „safety flowers II“ in progress. 2019. © Madeleine Mesam.

Hast du eine Kultur- und/ oder Kunstinstitution in deiner Stadt, die du empfehlen kannst?

Hier kann ich auf jeden Fall auch wieder den Kunstverein nennen. Es ist für mich ein Ort, an dem ich gerne bin, wo ich auch regelmäßig hingehe und die Ausstellungen besuche. Sie sind immer so gut kuratiert und durch sie habe ich schon viele für mich unbekannte Künstler*innen kennengelernt. Einprägsam für mich war zum Beispiel letztes Jahr Anna M. Szaflarski „Between Swimming and Dryland“. 
Ich freue mich sehr, dass er nun endlich wieder geöffnet ist. 


Liebe Madeleine, herzlichen Dank für dieses wunderbare Interview und all deine Zeit. Für uns ist es ein Interview, das uns mal wieder zum Nachdenken angeregt hat und unseren Weg, den wir gehen, bestätigt. Wie können und wollen wir aus den eurozentristisch geprägten Denkstrukturen innerhalb der Kunstgeschichte, die uns allen so gelehrt wurden, noch weiter ausbrechen? Was können wir dagegen unternehmen? Welche Blickwinkel wollen und können wir wählen? 

Dir und Annika wünschen wir von ganzen Herzen, dass nicht nur euer Buch ein voller Erfolg wird, sondern auch, dass euer gemeinsamer Traum in Erfüllung geht. Wir besuchen euch gerne und freuen uns jetzt schon auf zukünftige Treffen und Gespräche – vielleicht ja auch, um die Fragen, die uns beschäftigen, gemeinsam zu beantworten.