[…; indessen wandelt harmlos droben das Gestirn.] – Hölderlin suchen

Zwölf Künstler*innen des Künstlerbundes setzten sich – zum Teil erstmalig künstlerisch – für die Ausstellung mit Friedrich Hölderlin, seinen Texten, Wohnorten und Gedanken auseinander. Sie schufen mit der Ausstellung eine neue Möglichkeit, sich den nicht immer leicht zugänglichen Arbeiten des Lyrikers zu nähern und zeigen damit auch uns Besucher*innen eine neue Perspektive auf.

„Die Kunst ist der Übergang aus der Natur zur Bildung, und aus der Bildung zur Natur“ 

—  Friedrich Hölderlin*

Zum 250. Geburtsjahr des Dichters Friedrich Hölderlin darf eine lokale Ausstellung nicht fehlen. Unter dem Motto: […; indessen wandelt harmlos droben das Gestirn.] – Hölderlin suchen vereinen sich Werke von Künstler*innen des Künstlerbundes Tübingen. Wir konnten vergangene Woche mit Edel Wetzel, der zweiten Vorsitzenden des Künstlerbund e.V., die Ausstellung zu Hölderlin begehen und in die künstlerischen Umsetzungen eintauchen. 

Drei Personen vor einem Gemälde Frido Hohberger in der Kulturhalle
Edel Wetzel, Sara Heinzelmann-Wilhelm und Sarah Hergöth (v.l.) vor Frido Hohberger, „Diotima“, 2003, Kohlezeichnung, 200 x 150 cm.

Zwölf Künstler*innen, zwölf Gedanken und deren Ausführungen

Zwölf Künstler*innen des Künstlerbundes setzten sich – zum Teil erstmalig künstlerisch – für die Ausstellung mit Friedrich Hölderlin, seinen Texten, Wohnorten und Gedanken auseinander. Sie schufen mit der Ausstellung eine neue Möglichkeit, sich den nicht immer leicht zugänglichen Arbeiten des Lyrikers zu nähern und zeigen damit auch uns Besucher*innen eine neue Perspektive auf. Entstanden sind Werke in unterschiedlichsten Medien, die aufgeteilt auf zwei Örtlichkeiten, in der Kulturhalle und der Galerie Fingur ausgestellt sind. Wir stellen euch im Folgenden eine kleine Auswahl der zahlreichen Exponate vor und können einen Besuch wärmstens empfehlen – es lohnt sich!

Fragt man Tübinger*innen und Personen aus der Region, was sie wohl mit Friedrich Hölderlin, neben seinem Hyperion, verbinden, wird mit Sicherheit die meist genannte Antwort der Hölderlinturm sein. Der Ort, der heute vielen Tourist*innen als pittoreskes Fotomotiv dient, birgt einen Großteil der Geschichte Hölderlins, da er vom 3. Mai 1807 bis zu seinem Tod im Jahr 1843 dort lebte und arbeitete [Blogbeitrag zu Hölderlins Orte von Barbara Klemm hier]. So ist es natürlich fast unausweichlich, dass sich auch die Künstler*innen der Ausstellung mit dieser Thematik und Örtlichkeit befassten.

Martin Baumann zum Beispiel, das jüngste Mitglied des Künstlerbundes, erschuf in diesem Zusammenhang mehrere Monotypien mit dem Titel Hölderlins Türme. Sie rekurrieren auf die Turmgedichte des Dichters und sollen die bekannte psychische Instabilität widerspiegeln. Aus aufgetürmten schwarzen Streifen, die mal gefestigt, mal schwankend, zart und abwehrend wirken, werden „Gedanken-Türme, Gedicht-Türme, Bücher-Türme, Türme des Wahnsinns [und] Türme der Hoffnung.“

Monotypien auf Papier von Martin Baumann zeigen Streifen aufeinandergestapelt, mal schwankend mal eng gefasst.
Martin Baumann©, „Hölderlins Türme“, Detail, 2020, Monotypie auf Papier, je 30 x 30 cm. Foto: Sara Heinzelmann-Wilhelm.

Die Vielzahl und Zusammenstellung der Exponate in der Ausstellung ist auffällig. Häufig sind mehrere Objekte ausgestellt oder aber ein Werk präsentiert sich in Verbindung vieler kleiner Teile. Es wirkt fast so, als hätten die Künstler*innen sich nur sehr schwer auf ein zu präsentierendes Werkstück festlegen können. Angefangen bei Diptycha, über Triptycha zu ganzen Werkreihen, einem umfassenden Künstlerbuch oder mehrteiligen Installationen und Tableaus, benötigt die künstlerische Auseinandersetzung offensichtlich mehr Raum und Fläche. Dies tut der Qualität der Stücke allerdings keinen Abbruch. Im Gegenteil.

  • Ralf Bertscheit mit einem Triptychon aus Ölkreide und Tusche
  • Detail von Ralf Bertscheit mit einem Triptychon aus Ölkreide und Tusche

Bei  Ralf Ehmann entdeckt man zum Beispiel nicht nur bildhauerische Werke, sondern auch Ausführungen in Malerei und Grafik. Der im wahrsten Sinne des Wortes „Tausendsassa“ Ehmann zeigt Marmorskulpturen, einen wandelnden Bronzeguss, Gipsportraits, eine Malerei mit Öl auf Leinwand und mehrere Umsetzungen in grafischer Form, als Radierungen. Die in seinem Werk immer wiederkehrende Beschäftigung mit einer Form der Zwischenwelt (auch das Motto der letzten Jahresausstellung des Künstlerbundes Tübingen 2019) findet hier seinen Bezug zu Hölderlin. Der Raserei, der von außen so schwer begreifbaren Zuflüchte einer kranken Seele in eigene Wahrheiten und Orte der Sicherheit. Der Zwiespalt und die janusähnliche Möglichkeit in verschiedene Richtungen zu sehen. Ein Morgenrot und Abendrot, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das Eine voller Stolz und Anmut, mit fast griechischer Stoik nach vorne in den Tag blickend und das Andere zusammengesunken, desillusioniert und erschöpft am Abend.

  • Zwei Portraitbüsten von Ralf Ehmann aus Gips
  • Detailaufnahme der Skulptur Raserei von Ralf Ehmann

Versunken und eingetaucht in das dunkle Nichts, beklemmend und gleichzeitig voller Ruhe zeigt Im Turm keinen architektonischen Ort, sondern einen menschlichen Kopf mit geschlossenen Augen der sich scheinbar in einem Zustand des Übergangs befindet. 

  • Ein Gesicht sticht durch helle Farbhöhungen aus dem Dunkel hervor.
  • Malerei von Ralf Ehmann namens Im Turm

Auch Frido Hohberger präsentiert mehr als ein Kunstwerk und wie Ehmann beschäftigt auch er sich schon seit Jahrzehnten mit Hölderlin als Person und Autor. So ist es vermutlich auch zu erklären, dass hier alle ausgestellten Objekte ihren Ursprung in früheren Jahren haben. Neben einem Tableau, einer großformatigen Kohlezeichnung, farblichen Mischtechniken auf Papier, zeigt Hohberger auch ein Künstlerbuch. Das Medium Künstlerbuch begegnet einem heutzutage eher selten, war aber Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Œuvre eines*r Künstlers*in kaum wegzudenken. Hier wurden Textauszüge Friedrich Hölderlins von Hohberger mit eigenen farblichen Assoziationen ergänzt. Um das Buch in Größe zu erfassen, lohnt es sich (wie immer) das Original zu sehen, man kann es aber auch in einem Video mit gesprochenem Text erkunden.

Frido Hohberger: Künstlerbuch „Friedrich Hölderlin – Bruchstücke“, 2013,
gesprochen von Siegfried Bühr.

Genuss der Varianz 

„O hätt ich doch nie gehandelt! Um wie manche Hoffnung wär ich reicher! –Ja, vergiß nur, daß es Menschen gibt, darbendes, angefochtenes, tausendfach geärgertes Herz! Und kehre wieder dahin, wo du ausgingst, in die Arme der Natur, der wandellosen, stillen und schönen.“

Friedrich Hölderlin, Hyperion, Reclam Verlag Stuttgart, 2013, S. 8

Die Vielfalt der einzelnen Exponate zeugt von den je unterschiedlichen Herangehensweisen in der Adaption von Hölderlins Texten. Renate Gaisser bezieht sich in ihrer dreiteiligen Arbeit Sumpflilienkraut auch auf ein Zitat, stellt aber wie Beatrix Giebel, Susanne Höfler und Jürgen Klugmann die Naturerfahrung in den Fokus. Für die Umsetzung ihrer Malerei begab sich Gaisser auch direkt und im wahrsten Sinne „in die Arme der Natur“. Die drei Gemälde, als Triptychon angeordnet, wurden alle plein-air gemalt, vor Ort unter freiem Himmel. Das eingefangene Schattenspiel auf dem Wasser verleiht der Malerei eine unglaubliche Tiefe, die in Kombination mit der dick aufgetragenen Farbe einen fast dreidimensionalen Effekt erreicht. Die scheinbare Stille dieses Moments, in eigentlich stetiger Bewegung des Wassers und der Halme durch die Luft, bannt Gaisser hier in Öl.

Dreiteilige Malerei von Renate Gaisser
Renate Gaisser©, „Sumpflilienkraut_1_20“, „Sumpflilienkraut_2_20“,„Sumpflilienkraut_3_20“, 2020, Öl auf Leinwand, 90 x 90 cm. Foto: Sara Heinzelmann-Wilhelm

Die umgekehrte Analogie

„An meine Schwester

Übernacht’ ich im Dorf

Albluft

    Straße hinunter

Haus Wiedersehn. Sonne der Heimath

     Kahnfahrt,    

   Freunde                Männer und Mutter.

              Schlummer”

Gedichtfragment aus: „An meine Schwester“, 1800 von Friedrich Hölderlin.

Ähnlich wie Renate Gaisser, wählte auch Ralf Bertscheit einen vom Inhalt der Texte Hölderlins inspirierten Ansatz. In seiner Installation An meine Schwester nimmt er direkt Bezug auf das entsprechende Gedichte-Fragment Hölderlins. Auf 56 Hartfaserplatten, angeordnet auf einer Fläche von ca. 200 x 200 Zentimetern, werden einerseits die Wortfetzen aus Hölderlins Text abgebildet und andererseits Fundstücke aus Bertscheits „Gütle” präsentiert. Die Annäherung an Hölderlin erfolgt hier also über die Aneignung der jeweiligen Vorgehensweise. Ähnlich, wie sich Hölderlin auf die Suche nach Wort-Fundstücken begeben hatte, auf Text-Bruchstücke und Wortfetzen, findet Bertscheit Fragmente für sein Kunstwerk im Kosmos Gütle (Für nicht lokale Leser*innen: Ein Gütle bezeichnet ein Stück Land, mit Streuobstwiesen, Gemüsegarten und einer kleinen Hütte). Es entsteht eine umgekehrte Analogie. Aus Wörtern werden Texte. Bertscheits Fundstücke waren einmal Tonkrüge, Vasen oder andere Gebrauchsgegenstände, die jetzt aber nur noch in Einzelteilen vorliegen und damit unzulänglich auf ihre ursprüngliche Form referieren. Was innerhalb der Installation entsteht, ist ein neuer Sinnzusammenhang, der die aufbereiteten Stücke in einen Dialog miteinander treten lässt und Hölderlins Text-Bausteine um eine naturverbundene, haptische Komponente ergänzt. 

  • Installation von Ralf Bertscheit, 56 Hartfaserplatten mit Wort- und Fundstücken
  • Detail der Installation von Ralf Bertscheit, 56 Hartfaserplatten mit Wort- und Fundstücken

Ausstellung:

[…; indessen wandelt harmlos droben das Gestirn.] – Hölderlin suchen

Kulturhalle, Nonnengasse 19

14. Mai – 27. Juni 2020; Do und Fr 16 – 19  Uhr, Sa 11 – 17 Uhr.   

Galerie Fingur, Hintere Grabenstraße 45

12. Juni – 25.  Juli 2020; Do – Sa 11 – 15 Uhr.

Teilnehmende Künstler*innen:

MARTIN BAUMANN, RALF BERTSCHEIT, AXEL VON CRIEGERN, RALF EHMANN, GERHARD WALTER FEUCHTER, RENATE GAISSER, BEATRIX GIEBEL, SUSANNE HÖFLER, FRIDO HOHBERGER, GERHARD KILGER, JÜRGEN KLUGMANN, HELGA SEIDENTHAL

Der Tübinger Künstlerbund e.V.

Seit 1971 in Tübingen ins Leben gerufen, findet sich der Künstlerbund inmitten der Tübinger Altstadt. Seit 1979 lädt die Künstlervereinigung in der Metzgergasse 3 mit Druckwerkstatt und kleiner Galerie zum Verweilen ein. Nicht nur Künstler*innen gehen hier ein und aus, sondern auch neugierige Tourist*innen und Kunstinteressierte Tübinger*innen. Das ehemals alte Schlachthaus dient dem eingetragenen Verein Künstlerbund e.V. als Ausstellungsort und Arbeitsstätte. 

Aktuelle Ausstellung:

Patrick Fauck: QUERDENKER

Druckgrafische Arbeiten

06.06. – 04.07.2020

*Widmung im Hyperion für Prinzessin Auguste von Hessen-Homburg, zitiert nach: Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke (Frankfurter Ausgabe), Band 20, D. E. Sattler (Hg.), Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main/Basel 2008, S. 84.

Anmerkung: Viele der Fotografien sind in der Galerie des Künstlerbundes e.V. Tübingen entstanden, in der die Ausstellung ( dieser Teil ab dem 12.06.2020 in der Galerie Fingur ) bis Ende Mai zu sehen war.