Interview mit: Julia Berghoff

Genießt die Einblicke in das Leben einer Kunsthistorikerin. Erfahrt, wie Julia Berghoff den Weg in die Welt der Kunst gefunden hat und wie ihr Alltag, mit all seinen Aufgaben, so aussieht.

Studien- und Arbeitskollegin, Chefin und Freundin. Das ganze Kune-Team hat mit Julia Berghoff eine Verbindung, was uns sehr freut. Durch ihre vielen Projekte, die sie schon während des Studiums verfolgt hat, hat sie vielseitige Erfahrungen im Ausstellungswesen gesammelt. Julia selbst hat zahlreiche Veranstaltungen organisiert und Ausstellungen (mit-)kuratiert. Davon berichtet sie euch heute in diesem wunderbaren Interview.

Doch nicht nur die Kunstgeschichte begeistert sie: Sie ist auch selbst Künstlerin! Schaut einfach mal auf ihrer Website vorbei. Und jetzt laden wir euch ein Julia Berghoff ein wenig näher kennenzulernen. Wir wünschen euch viel Spaß!

Julia Berghoff. Eine Fragerunde zu deinem Leben.

Wer bist du und wo lebst du?

Ich bin Julia Berghoff, promoviere in Tübingen über Amerikanische Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts und arbeite in der Gratianusstiftung Reutlingen. Erst seit kurzem lebe ich auch in Reutlingen, komme aber ganz ursprünglich aus Stuttgart. Bin dort geboren und bis zu meinem ersten Lebensjahr aufgewachsen. Danach ging es dann aber recht zügig auf die Schwäbische Alb, wo ich bis September 2019 gewohnt habe. Immer schon war ich jedoch vielmehr mit dem Fuße der Alb verbunden, bin in Pfullingen zur Schule gegangen, habe mein Abitur dort mit Hauptfach Kunst abgeschlossen und unmittelbar darauf in Tübingen Kunstgeschichte und Anglistik/Amerikanistik studiert.

Unsere Interview-Partnerin Julia Berghoff.

Wie bist du zu der geworden, die du heute bist?

Schon als Kind hatte ich mich für Kunst und Kunstwerke interessiert, woraus sich eine Freude am Nachahmen verschiedener Techniken und Themen ergab. Über das Malen und Zeichnen kam ich so auch an die Geschichte der Werke und Künstler*innen. Die Wahl des Fachs Kunstgeschichte ging bei mir so im Wesentlichen zunächst von der Affinität zur praktischen Seite aus, verband sich aber umso schneller mit der Neugier und Faszination historische Kontexte zu begreifen als auch eine neue Art „Sehen“ zu lernen.

Eine der für mich wichtigsten Erkenntnisse des Studiums machte sich bereits früh bemerkbar und begleitet mich noch immer. Die Freude und Begeisterung daran, sich ein umfangreiches Bildgedächtnis aufzubauen. Denn gerade die verbindenden Elemente verschiedener (und eigentlich aller) Kunstrichtungen und Epochen einzubeziehen, macht die Beschäftigung mit Kunstgeschichte für mich so spannend.

Julia Berghoff beim Aufbau ihrer Ausstellung „Zwischenspiel“ im Kunstverein Reutlingen. Foto. Andrea Zaumseil.

Ein grundsätzliches Interesse für das Organisieren und Kuratieren von Ausstellungen hatte ich schon mit Abschluss des praktischen Abiturs und der damit verbundenen, kleinen externen Präsentation bemerkt, weshalb es mich schließlich besonders reizte, Einblicke in das Ausstellungswesen einer etablierten Kunstinstitution zu sammeln.

Im Frühjahr 2016 hatte ich dann die wunderbare Möglichkeit, ein Praktikum im Kunstverein Reutlingen zu machen, woraufhin ich dort als wissenschaftliche Assistenz übernommen wurde und ein Jahr später noch die Büroleitung übernahm.

Gab es besondere Impulse?

Ein ganz besonderer Impuls war für mich in dieser Zeit die Erfahrung die Privatsammlung von Elisabeth und Peter Wacker inventarisieren zu dürfen. Hier konnte ich im Studium Gelerntes und meine Freude am unmittelbaren Umgang mit Kunst perfekt kombinieren. Das teils detektivische Nachforschen zu noch unbekannten Signaturen, verblichenen Zolletiketten oder vergangenen Auktionseinträgen löste in mir nicht selten ein Gefühl von Euphorie aus. Über die gemeinsame Freude an der Kunst hat sich die anfänglich professionelle Beziehung zu den beiden Sammlern schließlich sogar zu einer meiner bis heute engsten Freundschaften entwickelt.

Über den Kunstverein lernte ich zudem die Künstlerin Gabriele Straub kennen. Sie war dort 33 Jahre lang im Vorstand und gründete 2001 mit ihrem Mann Hanns-Gerhard Rösch die Gratianusstiftung.

Einblick in die Räumlichkeiten der Gratianusstiftung in Reutlingen. Foto: Tilman Rösch.

Als angewandter Ausgleich während meines anschließenden Master-Studiums machte ich dann noch ein Praktikum im Stuttgarter Auktionshaus Nagel, wo ich einen Monat lang in der Abteilung für alte Kunst und Antiquitäten beschäftigt war. Die unwahrscheinliche Menge verschiedenster Kunstwerke an einem Ort faszinierte mich damals wie noch heute.

Woran bist du gewachsen?

Wohl mit am meisten gewachsen bin ich aber an der Zeit, als mir zu meiner Büroleitung im Kunstverein Reutlingen ziemlich unerwartet die Interims-Geschäftsführung anvertraut wurde. Die mehr als nur herausfordernde Aufgabe in Form eines „Ein-Frau-Büros“ von September 2018 bis Ende April 2019 den Kunstverein zu leiten und für diesen Zeitraum eine Ausstellung zu konzipieren, als auch in allen ihren Einzelheiten zu realisieren, hat mir gleichzeitig wahnsinnige Energie gegeben und unheimlichen Spaß gemacht – auch zum Teil auf die schönst mögliche Weise an meine körperlichen Grenzen gebracht.

Gemeinsamer Aufbau von Yellow Ring im Kunstverein Reutlingen mit Julia Berghoff, Bean Finneran, Nicole Pierret, Elisabeth Weiß und Brük Dunbar. Foto: Inge Kehrer-Gmelin.

Schon während des Aufbaus der Ausstellung Zwischenspiel – Finneran / Zaumseil begann ich den begleitenden Katalog zu gestalten, den ich dann zur Vernissage tatsächlich auch überglücklich in den Händen halten konnte. Es ist wunderschön und gleichzeitig erschreckend, wie wenig man doch Müdigkeit spürt, wenn eine Aufgabe einen so sehr einnimmt und begeistert.

Der Katalog zur Ausstellung „Zwischenspiel“ im Kunstverein Reutlingen. Foto: Julia Berghoff.

Was machst du heute und was sind deine alltäglichen Aufgaben und Herausforderungen?

Im August 2019 wurde mir schließlich sehr überraschend von Gabriele Straub und Hanns-Gerhard Rösch die Frage gestellt, ob ich mir vorstellen könne, die Gratianusstiftung hier in Reutlingen zu betreuen. Ich war natürlich vollkommen aus dem Häuschen und sagte sofort zu. Mit einem regelrechten Kribbeln im Bauch begann ich meine Arbeit in der Stiftung zum September 2019 und arbeite momentan daran, das Inventar der Sammlung zu aktualisieren und fortzuführen. Außerdem bin ich natürlich für die Öffnungszeiten zuständig und führe Besucher*innen durch die Ausstellung Anziehungskraft Farbe – Geist und Erinnerung. Mit den Besucher*innen ganz individuell über die Werke ins Gespräch kommen zu können, ist für mich besonders spannend und vielseitig. Letztlich lerne ich durch jedes Gespräch auch wieder neu und anders zu sehen, weitere Perspektiven einzubeziehen. Mit Hilfe der Kunst und entsprechender Ruhe zur Kunstbetrachtung – so glaube und erfahre ich es zumindest – kann man über die Zeit ein stetig größer werdendes Maß an Offenheit und Unvoreingenommenheit (nicht nur im Bereich der bildenden Kunst) erreichen. 

Einblick in die Räumlichkeiten der Gratianusstiftung in Reutlingen. Foto: David Heitz.

Nur äußerst selten habe ich Orte kennengelernt, an denen ich innerlich so zur Ruhe kommen konnte, wie in den Räumen der Gratianusstiftung.

2022 wird es dann auch die nächste Präsentation zu sehen geben, worauf ich mich natürlich schon jetzt sehr freue und gespannt bin, die Werkauswahl und Konzeption zum ersten Mal begleiten zu dürfen.

Gab es persönliche Highlights in den letzten Jahren?

Im letzten Jahr habe ich mit der Künstlerin Elisabeth Wacker gleich an zwei Ausstellungen zusammengearbeitet – eine fand in der Osiander‘schen Gewölbegalerie im März 2019 statt, die zweite dann im November in der Stadtbücherei Pfullingen. Die Pfullinger Ausstellung Ansichtssachen – Geschüttet, Gesprayt, Collagiert hat mir ganz besonders viel Freude bereitet, da ich hier in alle Aufgaben eingebunden wurde, ob Konzeption, Auswahl, Rahmung, Ausstellungstitel oder finale Hängung – und zudem durfte ich auch noch kuratieren! Die schöne Herausforderung 35 ihrer so vielfältigen Arbeiten räumlich in Beziehung zu setzen, hat mich über Wochen begleitet und immer wieder neu gebannt.

Elisabeth Wacker. Ausstellungsansicht Ansichtssachen – Geschüttet, Gesprayt, Collagiert mit den Werken „Röntgen 5“, „Hauch von Etwas“, „Bei Nacht sind alle Wolken Rot“ und „Rot nach Rechts“. Foto: Julia Berghoff.

Zu Elisabeths künstlerischem Arbeiten und ihren Werken habe ich zudem eine ganz besondere Beziehung, da ich nun schon seit etwa vier Jahren fast wöchentlich verfolgen darf, was für neue Werke entstehen oder auch überarbeitet wurden. Die enge Zusammenarbeit mit Elisabeth, vom ersten Betrachten (teilweise quasi unmittelbar nach Trocknen der Farbe) bis hin zur Auswahl, macht einfach wahnsinnigen Spaß.

Elisabeth Wacker. Farbrausch (Detail). Foto: Julia Berghoff.

Aber nicht nur die künstlerische Zusammenarbeit begleitet mich seit Jahren. Nachdem ich Elisabeth und Peter Wacker über meine Arbeit im Kunstverein Reutlingen kennengelernt habe, entwickelte sich eine Freundschaft, die mich auf so vielen Ebenen bereichert. Bei Wackers fühle ich mich schlicht wie zu Hause!

Wer Lust hat, sich ein paar Ansichten von Elisabeths Ausstellungen anzuschauen, kann jetzt auch auf die neu entstandene Website schauen www.elisabethwacker.de.

Mein persönliches Highlight in diesem Jahr war außerdem die Möglichkeit für die Galerie Reinhold Maas auf der Art Karlsruhe vor Ort zu sein. Sich den ganzen Tag mit interessierten Besucher*innen über Arbeiten von z. B. Steffen Schlichter oder Alfonso Hüppi auszutauschen, lässt einen Messeaufenthalt wie im Flug vergehen.

Präsentationsansicht (Detail) der Galerie Reinhold Maas auf der Art Karlsruhe mit Werken von Johannes Kares. Foto: Julia Berghoff.

Was wirst du gerne mal gefragt?

Was ich doch immer wieder mal gefragt werde – und was wohl jede/r Kunsthistoriker*in schon ab und an zu hören gekriegt hat – ist, „wo man denn mit so einem Studium überhaupt arbeiten kann“. Meine Antwort lautet da immer, z. B. in einem Kunstverein, in einem Auktionshaus, in einer Galerie oder in einer Stiftung. 

Wie empfindest du deine ganz persönliche Work-Life-Balance?

Durch die Promotion und meine Arbeit in der Stiftung wird mir nie langweilig. Umso wichtiger ist es für mich aber auch außerhalb der Kunstgeschichte kulturelle Erfahrungen zu sammeln. Ich gehe sehr gerne in die Oper, ins Ballett, fast wöchentlich ins Kino und war z.B. auch schon mehrfach auf der Gamescom anzutreffen. Seit einigen Jahren tanze ich nun auch schon, was mich wieder auf einer ganz anderen Ebene herausfordert – und einfach Spaß macht.

Um mein harmonisches Maß aus Arbeit und Freizeit zu erhalten, ist es so für mich zentral, meine große Freude an den verschiedensten Sinneseindrücken und Aktivitäten zu bewahren, die mein Umfeld so bietet.

Bean Finneran. Red Ring (Detail). Ausstellungsansicht Kunstverein Reutlingen, © Bean Finneran. Foto: Elisabeth Weiß.

Liest du in deiner Freizeit kunsthistorische Literatur?

In meiner Freizeit (meistens zum Frühstück) lese ich immer ganz gerne die Kunstzeitung oder kunst:art, die ja häufig kostenlos ausliegen. Ansonsten halte ich mich auch mit dem Kulturteil der Tageszeitung auf dem Laufenden, was die Region angeht.

Hast du eine Kultur-/ Kunstinstitution in deiner Stadt, die du empfehlen kannst?

Neben den genannten Institutionen, gehe ich immer mal wieder auch gerne ins Franz K, z. B. zu Poesie und Pommes. Selten habe ich so gelacht, wie an einigen Abenden dort. Auch in der Stadthalle Reutlingen habe ich schon einige begeisternde Abende erlebt. Das musikalische Programm lohnt sich immer!