Tanz! Max Pechstein. Bühne, Parkett, Manege.

Die Kunsthalle Tübingen zeigt aktuell eine Ausstellung zu Max Pechstein. Der deutsche Expressionist wird hier im Reigen mit Zeitgenossen/ Zeitgenossinnen unter dem übergreifenden Thema »Tanz!« präsentiert.

„Tanz mit mir… Durch die Straßen, wenn du magst auch gern im Regen! Tanz mit mir durch’s Leben!“ (Autor unbekannt)

Dieses – leider nicht von Max Pechstein stammende – Zitat könnte nicht treffender sein, um in die Ausstellung einzuleiten.

Wie der Name der aktuellen Schau in der Kunsthalle Tübingen schon vermuten lässt, wird sich hier, neben der Bühne, dem Parkett und der Manege mit einer übergreifenden Thematik befasst, dem Tanz! Ob der Titel als Subjektiv oder als eine Aufforderung verstanden wird liegt im Auge der Betrachter*innen, so kann es vor allem aber als Mantra gedeutet werden. 

Eine kolorierte Lithografie von Max Pechstein, 1912, die einen Tanz am Waldteich zeigt.
Max Pechstein, Der Tanz (Tanzende und Badende am Waldteich), 1912, Kolorierte Lithografie, 85 x 65 cm, ©Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum. Foto: Sara Heinzelmann-Wilhelm.

Max Pechstein zurück in Tübingen

Nach 23 Jahren holt die Museumsdirektorin, Nicole Fritz, in Zusammenarbeit mit dem Max-Pechstein Museum in Zwickau und der Max-Pechstein Urheberrechtsgemeinschaft (hier vorrangig mit Pechsteins Enkeln Julia und Alexander Pechstein) wieder Werke des Expressionisten nach Tübingen.

 Max Pechstein (1881–1955), Sohn einer Arbeiterfamilie, in Dresden ausgebildet zum Dekorationsmaler, studierte auch dort an der Kunstakademie und trat ein Jahr nach ihrer Gründung der expressionistischen Künstlergruppe „Brücke“ bei (bis 1912). Als entarteter Künstler diffamiert wurden bis 1945 zahlreiche Werke von ihm zerstört. Heute zählt er zu den großen Vertretern des deutschen Expressionismus.

Der Expressionismus als Stilrichtung in der Moderne, ist einer von Vielen und entweder glorifiziert oder verhasst. Die Wende zum 20. Jahrhundert zeichnete sich durch vielzählige Weiterentwicklungen und Veränderungen aus. Industrialisierung, vermehrte Technisierung und eine sukzessive Dynamisierung prägten nicht nur die Arbeitslandschaft, sondern auch das kulturelle Leben. Die zunehmende Befreiung und Autonomisierung künstlerischer Gestaltungsmittel begann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit den Impressionisten und gipfelte in radikalen Material- und Farbversuchen. Darauf folgten mehrere neue Definitionen von Kunstverständnis und ein steter Fortschritt in der Selbstbestimmtheit der Künstler*innen. Der sich vor allem auch im Expressionismus spiegelt.

Ernst Ludwig Kirchner, Akrobatenpaar. Zwei Akrobatinnen, 1932-33 aus Arvenholz.
Ernst Ludwig Kirchner, Akrobatenpaar. Zwei Akrobatinnen, 1932-33, Arvenholz, 56 x 30 x18 cm, ©Kirchner Museum Davos, Schenkung Nachlass Ernst Ludwig Kirchner 1990. Foto: Sarah Hergöth.

Wie sehr der Tanz – der in vielen Köpfen im Impressionismus verhaftet ist (u.a vertreten bei Degas, Renoir…) – zu dieser Stilrichtung passt, lässt sich in dieser Ausstellung nicht nur gut sehen, sondern auch hören und ich möchte soweit gehen zu sagen, es lässt sich fast spüren. 

Die gezeigten Werke in der Kunsthalle Tübingen beschränken sich weder auf reine Gemälde, noch ausschließlich auf Max Pechsteins Arbeiten. Den Blick auf die enge künstlerische Zusammenarbeit in Künstler- und Secessionsgruppen (wie der Brücke) gerichtet, zeigt die Kuratorin Annika Weise auch Exponate von u.a. Rudolf Belling, Erma Bossi, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde und Christian Rohlfs sowie Vertreterinnen des modernen Ausdruckstanzes wie Josephine Baker, Gret Palucca und Mary Wigman. Die ausgestellten Stücke stehen, wie die Künstler*innen damals, in einem Dialog. Der Austausch bezieht sich hier nicht auf den kommunikativen Aspekt, sondern auf die künstlerischen Umsetzungen. Skulpturen fungieren als Inspirationsquelle für ein neues Gemälde und Ausflüge werden zu gemeinsamen Aktstudien. Obwohl es damit stets ähnliche Motive sind, unterscheiden sich alle in ihrer Umsetzung – Medium, Farbe, Struktur und Gestalt. 

Bronzeplastik von Rudolf Belling, 1916 zeigt eine Tänzerin in Bewegung.
Rudolf Belling, Tänzerin, 1916, Bronze, H 44,9 cm, ©Kunsthandel Wolfgang Werner, Bremen/ Berlin. Foto: Sarah Hergöth.

Der Tanz als sowohl empfindsames, als auch radikal subjektives Erlebnis verschmilzt in den hier gezeigten Arbeiten der Künstler*innen; in den sich natürlich bewegenden Modellen, einem Versuch des schnellen Erfassens von unmittelbaren Momenten. Spontane, vielleicht auch grobe Pinselführungen die vor allem auf eines zielen: Die expressio, lat. für Ausdruck. Die expressionistische Kunst, als Kunst des gesteigerten Ausdrucks, die die eigenen inneren Gefühle auszudrücken vermag und eine abstrakte Interpretation der eigenen Wirklichkeit konstruieren soll. 

Tänzerin von Erma Bossi, um 1909 in Öl auf Karton in expressiven Farben, vorrangig Rot, Dunkelblau, Grün und Gelb.
Erma Bossi, Tänzerin in Rot, um 1909, Öl auf Karton, 85 x 66 cm, ©Privatsammlung Bayern. Foto: Sarah Hergöth.

Das Großstadtleben, um die Jahrhundertwende,  in Paris und Berlin, voll mit Bürger*innen die von Vergnügungssehnsucht getrieben wurden, tanzten, tranken, flanierten und sich verlustierten, gehörte zu Max Pechsteins großer Inspirationsquelle für u.a. seine „Tanzbilder”. Obwohl er diese Umgebung nicht nur als Künstler, sondern auch als Privatmensch und leidenschaftlicher Tänzer genoss, sehnte er sich immer wieder nach friedvoller, menschenarmer Ruhe. In diesen Phasen zog Pechstein sich auf das Land zurück. Nach Nidden, heute in Litauen an der kurischen Nehrung, Ostsee und an den Lebasee, ehemals Pommern, heutiges Polen. 

Max Pechstein zeigt im Mondscheintanz eine Szene von den Palau-Inseln. 1951 mit Öl auf Leinwand.
Max Pechstein, Mondscheintanz, 1951, Öl auf Leinwand, 80 x 120 cm, Privatbesitz. Foto: Sarah Hergöth.

1914 machte sich der damals 33-Jährige mit seiner ersten Ehefrau Lotte, aus der Sehnsucht nach geruhsamerer Zeit, auf den Weg zu den Palau-Inseln im Südpazifik (damals eine deutsche Kolonie). Aus dieser Zeit sind vor allem Schriftstücke, Zeichnungen und Fotografien erhalten. Das große, die dortigen Erlebnisse rekapitulierende Gemälde „Mondscheintanz“ hingegen, malte Pechstein 1951 als späte idealisierte Erinnerung an die Zeit – nach zwei überlebten Weltkriegen. Dieses dynamische Tanzbild, in dem Erd- und starke Grüntöne dominieren, ist hier vor allem hervorzuheben, weil es das letzte in Pechsteins Œuvre ist, das sich mit dieser Thematik befasst. 

Zwei Kleider aus den 1920er-Jahren, darunter ein Charleston- und ein Abendkleid.
Charlestonkleid, 1920er-Jahre, Seide, Tüll, Kunststoff gewebt und bestickt (li), ©Museum für Angewandte Kunst Gera; Abendkleid, 1920er-Jahre, Seide gewebt (re), ©Museum für Angewandte Kunst Gera. Foto: Sarah Hergöth.

Die Besonderheit dieser Ausstellung ist die Vielfalt der gezeigten Stücke. Unterschiedlichste Medien werden  miteinander in Kontext gesetzt. Fotografien von Kostümbällen rekurrieren auf Zeichnungen. Gemälde und Grafiken verarbeiten Tanzabende und erzählen ihre eigenen Geschichten. Plakate und Theaterspielpläne verweisen auf die Vergnügungsmeilen in Berlin und annähernd 100 Jahre alte Kostüme lassen die »Goldenen Zwanziger« in Textil wieder aufleben. Allem wohnt natürlich eines inne – Tanz!

Wer dem Expressionismus zugeneigt ist, sollte sich von „Tanz! Max Pechstein. Bühne, Parkett, Manege“ unbedingt mit auf die Reise in die ausdrucksstarke Moderne nehmen lassen. Wer es nicht ist, sei dazu eingeladen nochmal einen Versuch zu wagen. Es lohnt sich! „Tanz mit mir…“

Die Ausstellung ist noch bis zum 15. März 2020 in der Kunsthalle Tübingen zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch, Freitag bis Sonntag 11 – 18 Uhr, Donnerstag 11 – 19 Uhr, Montag geschlossen. 

Studenten haben Donnerstags freien Eintritt!