Interview mit: Elsa Horstkötter

In unserer Interviewreihe stellen wir euch neben Künstler*innen auch potentielle Arbeitsfelder vor. Als Inspirationsquelle und Eröffnung neuer Horizonte. Heute startet dies mit einer Kunsthistorikerin, Literaturwissenschaftlerin, selbstständigen Kommunikationsstrategin, freiwillig der Liebe wegen in die Schweiz gezogene Powermama.

Elsa ist eine Kunsthistorikerin, Literaturwissenschaftlerin, selbstständige Kommunikationsstrategin, freiwillig der Liebe wegen in die Schweiz gezogene Powermama, die Sara schon immer inspirierte. Das Interview wurde in einem schriftlichen Austausch verfasst und dient hier zu weiterer Inspiration wohin berufliche Wege führen können, wie wichtig Praktika und Nebenjobs für die spätere Karriere sind und dass man als Frau, auch mit Kind sehr erfolgreich sein kann. Viel Spaß mit dieser tollen Wahlschweizerin.

Elsa bei einer Vernissage im Kunstmuseum Thun. ©Elsa Horstkötter.
Elsa bei einer Vernissage im Kunstmuseum Thun. ©Elsa Horstkötter.

Die Person Elsa Horstkötter. Eine Fragerunde zu deinem Leben.

Wer bist du? 

Ich bin Elsa (34) und kenne sowohl Sarah als auch Sara von KUNE. Ich habe mit beiden Kunstgeschichte in Tübingen studiert, mit Sara bin ich auch außerhalb der Uni befreundet. Leider haben wir uns im Strudel aus Umzug und Familiengründung etwas aus den Augen verloren. 

Wo lebst du? 

Seit zweieinhalb Jahren (wow, auch schon wieder) lebe ich mit meinem Lebenspartner und zwei Kindern in Bern (CH). Davor habe ich fünf Jahre in Berlin gelebt, meiner damaligen Wahlheimat und heutigem Sehnsuchtsort. Und wenn die wunderschöne, aber kleine Schweiz alle drei Monate zu klein wird, düs ich immer kurz alleine für eine Auszeit in die Hauptstadt zurück. Danach fühlt sich die Natur und die Kultur hier wieder an wie Zen. 

Bern im Sommer. Foto: ©Elsa Horstkötter.
Bern im Sommer. Foto: ©Elsa Horstkötter.

Was hast du studiert? Würdest du es wieder studieren?

Ich habe direkt nach dem Abitur mit 20 Germanistik und Philosophie in Tübingen studiert. Daran habe ich einen Master in Internationaler Literatur angeschlossen und parallel dazu einen zweiten Bachelor in Kunstgeschichte und Medienwissenschaften absolviert. Mit allem durch war ich mit 26. Ein Jahr davon habe ich noch in Leipzig studiert, um mal etwas anderes zu sehen als Baden-Württemberg. 

Kunstgeschichte und Medienwissenschaften würde ich sofort wieder studieren, ja. Ich wollte seit meinen Teenagertagen Journalistin werden und habe mich immer sehr für Kultur interessiert. Die Kombination hat sehr gut gepasst und der Start in das zweite Studium mit 23 Jahren war viel besser als mit gerade 20. Rückblickend würde ich vermutlich ein Jahr Pause zwischen Abitur und Studium machen.

Man braucht für die Uni meiner Meinung nach eine gewisse Ernsthaftigkeit […]. Diese unbegrenzte und kostenfreie Zugänglichkeit zu Wissen, habe ich mit 23 mehr respektiert und dadurch auch viel mehr im Kopf behalten. […]

Kannst du das Studium in Tübingen empfehlen?

In Tübingen zu studieren hat sicherlich viele Vorteile. Es ist eine sehr kleine Stadt, in der 1/3 der Einwohner*innen Studierende sind, man ist also unter sich und die Preise in Bars und Cafés sind darauf ausgerichtet. Auch sind die Institute, insbesondere für die Neuphilologie, exzellent. Man lernt dort mitunter von den Besten. Ich habe die Zeit in Tübingen aber auch mit vielen Nachteilen verbunden. Mir war die Stadt als Studentin immer zu klein. Es ist ein Mikrokosmos, der sich trotz linksliberalem Flair viel um sich selbst dreht. Wenn ich in die Programme von großen Kulturinstitutionen oder nach Konzerten geschaut habe, waren die einfach immer woanders. Ich hatte ständig das Gefühl, in einer größeren Stadt hätte ich mich wohler gefühlt. Ich habe von Freunden und Kommilitonen aber auch viel Positives gehört.

Was machst du heute? 

Heute arbeite ich als Marketing- und Kommunikationsverantwortliche im Kunstmuseum Thun und im Thun-Panorama. Darüber hinaus arbeite ich freiberuflich als Kommunikationsstrategin, Konzepterin und Texterin

Screenshot von Elsa Horstkötters Homepage. Foto: Sara Heinzelmann-Wilhelm, ©Elsa Horstkötter. "Ich entwickle Marken und schreibe deren Geschichten. Eine Arbeit, die ich liebe und Arbeitsergebnisse, die von jener Liebe erzählen."
Screenshot von Elsa Horstkötters Homepage. Foto: Sara Heinzelmann-Wilhelm, ©Elsa Horstkötter.

Liest du in deiner Freizeit kunsthistorische Literatur: online, in Buchform, Magazin etc., auch Blogs? 

Selten muss ich zugeben. Wenn ich mal zum Lesen komme, informiere ich mich eher über politische Sachen (Spiegel, Der Bund) oder höre im Zug mal einen Podcast (z.B. Servus, Gruezi, Hallo). Am ehesten lese ich die art oder blättere im Kunstbulletin. Blogmäßig bin ich eher familienlastig unterwegs. 

Hast du auch Lieblingsblogs?

Noch ohne Kinder habe ich gerne AD online gelesen und dezeen. Auch kann ich den Kulturteil der NZZ sehr empfehlen. Ist immer auch gut, wenn man mal die ausländische Sicht auf deutsche Kultur hat. 

Woran bist du während deiner Ausbildung gewachsen?

Während meiner Ausbildung bin ich an den Jobs gewachsen, die ich neben dem Studium gemacht habe. Während meinen ganzen sechs Unijahren habe ich versucht, in viele verschiedene Berufsecken reinzuschauen. Das hat mir extrem viel gebracht. Ich habe zum Beispiel sehr darauf hingearbeitet, Journalistin zu werden und wollte immer zur Süddeutschen Zeitung ins Feuilleton.

Mit fünf Praktika im Gepäck und Erfahrung als freier Schreiberling habe ich dann das Praktikum bekommen und nach einer Woche dort in der Redaktion gemerkt: Ich muss unbedingt was anderes machen. […]

Das war bitter für mich und hat mir auch so ein bisschen den Boden unter den Füßen weggerissen. […] Gewachsen bin ich auch an meinen Kindern, natürlich. Das kann jetzt wahrscheinlich jeder mit Kindern nachvollziehen und die noch Kinderlosen denken sich: jajaja. Aber sie sind das Großartigste in meinem Leben. Und im Job habe ich durch sie nochmal einen anderen Fokus und Ehrgeiz entwickelt. Ich bin heute viel effizienter als noch vor drei Jahren und in Meetings diplomatischer geworden. 

Kommen wir zu deinem Arbeitsfeld – das ist für uns hier ein wichtiger Bereich, den wir für Andere öffnen wollen.

Ist dein jetziger Job dein Erster?

Nein, festangestellt ist es mein dritter und freiberuflich habe ich schon 15 Jahre hinter mir. Zwischen 20 und 28 habe ich für Stadtmagazine und kleine Kunstzeitschriften geschrieben, zusätzlich diverse Studijobs gemacht. Der beste war an der Pressestelle der Hochschule. Dort habe ich 3x die Woche morgens den Pressespiegel erstellt. Das war sehr gut bezahlt und ich hatte bis 10 Uhr alle Zeitungen umsonst gelesen. Nachdem ich einen Haken an den Journalismus gesetzt habe, war ich selbständig als Konzepterin und Texterin. […] [In Berlin] habe ich zwei Jahre in einer Agentur getextet, die spezialisiert war auf Real Estate Brands und Stadtentwicklung.

Dort habe ich wahnsinnig viel gelernt. Wie Agenturen funktionieren, wie Werber ticken, wie man mit Wörtern verkauft und fasziniert – aber auch, dass der Alltag in Agenturen viel Party, viel Drogen, viel Augenwischerei und Überstunden bedeutet.

Für mich hat das zu der Zeit gepasst. Als ich aber nach zwei Jahren schwanger wurde, war auch klar, dass man als werdende Mutter nicht mehr dazugehört. Verliebt in einen Schweizer und genervt vom Berliner Arbeitsmarkt, haben wir zusammen entschieden in die Schweiz zu gehen. Nach der Geburt unserer Tochter haben wir unsere Elternzeit zusammen genommen (insgesamt 7 Monate zeitgleich), sind nach Bern gezogen und haben uns neue Jobs, Wohnung und Kitaplatz besorgt. 

In der Schweiz gibt es keine Elternzeit [in Deutschland gibt es Elternzeit von bis zu 3 Jahren pro Person mit Arbeitsplatzsicherungsgarantie, 14 Monate kann man in diesem Zeitraum Elterngeld beantragen]. Deshalb war klar, dass wir nach den 7 Monaten wieder arbeiten werden. Ich fand recht schnell eine Stelle als Leiterin für Text und Konzept in einer Kommunikationsagentur mit 80% Anstellung. Mein Freund arbeitet auch 80%. So hat jeder einen Tag frei für die Kinder, die restlichen drei Tage gehen sie in die Kita. In der Berner Agentur, meiner zweiten Festanstellung, habe ich mich inhaltlich recht weit entfernt von der Kunst und der Kultur […]. Und dann kam sowieso alles anders als bequem, wie es eben oft ist. Unser Sohn kam genau 18 Monate nach unserer Tochter zur Welt, ohne Elternzeit ist mein Partner nach drei Wochen unbezahltem Urlaub wieder arbeiten gegangen und ich ebenso nach dem gesetzlichen Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen.

Kurz darauf lag unser Sohn knapp einen Monat im Krankenhaus und wir fielen ein Vierteljahr aus […]. Danach hatten wir beide, um eine Woche zeitversetzt, die Kündigung beider Jobs auf dem Tisch.

[…] Ich habe trotz Allem positiv gedacht. Für 2019 wollte ich wieder näher zur Kunst, freier in der Arbeitseinteilung sein, nicht mehr reine Werbung machen. 

Aussicht auf das Panorama vor Thun. ©Elsa Horstkötter.
Aussicht auf das Panorama vor Thun. ©Elsa Horstkötter.

Wo arbeitest du und in welcher Position bist du tätig?

Ich arbeite angestellt und freiberuflich zu gleichen Teilen. Seit 2019 verantworte ich das Marketing und die Kommunikation im Kunstmuseum Thun und Thun-Panorama mit einem Pensum von 40% und freiberuflich erstelle ich ebenso mit 40% Kommunikationskonzepte und Brandings für unterschiedliche Kunden aus Berlin, Stuttgart und Bern.  

Aussenansicht Thun Panorama, Foto: ©Dominique Marc Wehrli.
Aussenansicht Thun Panorama, Foto: ©Dominique Marc Wehrli.

Was sind deine alltäglichen Aufgaben und Herausforderungen?

Im Kunstmuseum plane ich die Vermarktung des Hauses und der Ausstellungen (Inserate, Gestaltung, Texte, Partnerschaften, etc.), schreibe Pressemitteilungen und führe Journalisten durchs Haus, nehme an unzähligen Sitzungen und Jour Fixen teil, überarbeite die Corporate Identity des Hauses, betreue Social Media sowie die Website und verantworte das halbjährlich erscheinende Magazin. 

Da meine Stelle auf zwei Jahre befristet ist, schreibe ich nebenher noch an der Strategie zu meiner eigenen Position, damit der Verlängerung nichts im Wege steht. Zusätzlich ist eine große Aufgabe Bildmaterial aufzubereiten und die Sicht des Kurators auf Dinge in eine massentaugliche und/oder Nischensprache zu übertragen. Herausfordernd finde ich die städtische Struktur, in der ich mich bewege. Für jede Sitzung gibt es eine Besprechungsliste, die es auszufüllen gilt, alles braucht einen Antrag, die Kommunikationswege sind teilweise lang und verkrustet. Das fällt vor allem auf, wenn man eine Berliner Werbeagentur dagegenstellt. Zudem merkt man meines Erachtens, ob man im Kulturbereich einer kleinen Stadt arbeitet oder eben in einer Großstadt. Thun ist so groß wie Tübingen, die Mehrheit unseres Teams wohnt in Basel, Zürich oder Bern. Unter Thunern ist das Kunstmuseum das Haus der Exoten. Aktuelle Kunst schreckt eben viele noch ab, die sich im Alltag weniger damit beschäftigen oder auch weniger damit konfrontiert werden als in Großstädten. Ich habe für mich selbst die Herausforderung angenommen, jedem Thuner das Kunstmuseum schmackhaft zu machen. Allein um das zu schaffen, müsste mein Vertrag verlängert werden. 

Freiberuflich kommt mein kunstgeschichtlicher Hintergrund eher selten zu tragen. 

Was gehört außerdem zu deinem Arbeitsbereich (was man auf den ersten Blick nicht vermuten würde)?

Im Museum muss ich häufig sehr diplomatisch sein, denn im Öffentlichen Dienst werden Lappalien schnell zum Politikum. Und Marketing ist, auch laut Aussagen von Freunden, immer das Fachgebiet, bei dem alle mitreden wollen. Die Kuratoren wollen es möglichst verkopft und s/w, die Kunstvermittlung bunt und spielerisch, die Direktion bezieht womöglich noch andere aus dem Team mit ein. Ich diskutiere häufig darüber, ob etwas Geschmackssache ist oder nicht.

Vielmehr ist es aber so, dass das Kunstmuseum eine definierte Corporate Identity hat, die es einzuhalten gilt. Tut man dies nicht, gehen Wiedererkennungswerte verloren, Stringenz in der Wahrnehmung als Marke geht flöten.

Was mir sehr hilft, dass ich eigentlich alle Seiten kenne. Ich kenne die Kundensicht, weiß, was Redaktionen wollen, kann Zielgruppen und Brandstrategien erstellen, verstehe Druckabläufe und die Prozesse von Kreation. 

Aussicht vor Kunstmuseum Thun, Foto: ©Elsa Horstkötter.
Aussicht vor Kunstmuseum Thun, Foto: ©Elsa Horstkötter.

Wie wichtig ist Social Media für das Tätigkeitsfeld?

Sehr wichtig. Als ich angefangen habe, gab es für das Kunstmuseum einen Facebook-Account und noch einen für das Thun-Panorama. Aber nur einen gemeinsamen Instagram-Account. Das machte in meinen Augen wenig Sinn. Ich habe dann einen weiteren Insta-Account für das Thun-Panorama erstellt und zwei unterschiedliche Content-Strategien für die Bespielung definiert. Die Follower des Kunstmuseums sind ganz andere als die des Thun-Panoramas.

Thun Panorama Innenansicht, Foto: ©Elsa Horstkötter.
Thun Panorama Innenansicht, Foto: ©Elsa Horstkötter.

Und auch die Plattformen unterscheiden sich je nach Haus. Facebook wird mehr beim Thun-Panorama benutzt, Instagram führt beim Kunstmuseum. 

Für die letzte Ausstellung habe ich erstmals für das Museum eine Geo Targeting Kampagne beauftragt. Sie zeigt das Key-Visual der Ausstellung im Loop, zusammen mit anderen Fotos als Anzeige auf dem Handy, wenn man Apps aus dem Nachrichtenwesen offen hat. Unser Ziel ist es unter anderem ein jüngeres Publikum ins Museum und ins Panorama zu bekommen. Die nehmen Aussenwerbung wenig wahr, sind ständig am Handy. Shared Content und insbesondere User-Generated-Content ist daher meine wöchentliche Freude. 

Ich denke Instagram ist das wichtigste Tool, auch für Advertising. Danach Facebook und sobald die jeweilige Institution auch Podien anbietet oder ähnliches, auch twitter. 

Was wirst du immer gefragt?

Ob ich Berndeutsch verstehe. [Ich kann mir vorstellen, dass sie hier heimlich kicherte].

Gab es persönliche Highlights in den letzten Jahren?

Viele :).

Ganz vorne ist sicher der Umstieg auf mein jetziges Arbeitsmodell mit zu gleichen Teilen angestellt und freiberuflich sein. Ich freue mich dienstags immer aufs Museum und das Team, bin danach froh um zwei Tage freiberufliches Nerd-Dasein und lasse freitags die Woche wieder im Museum ausklingen. Zudem gibt mir die Anstellung eine gut bezahlte Möglichkeit in der Kultur zu arbeiten und sie sichert meine Fixkosten. […] Ich habe seit Beginn der Freiberuflichkeit keine große Akquise machen müssen, sondern konnte auf mein Netzwerk zurückgreifen. Das macht natürlich wahnsinnig frei. 

In den letzten Monaten war sicherlich auch die Eröffnung der Sophie Calle Ausstellung mein berufliches Highlight. […] Die Erwartungen an mich für das Medienecho waren hoch und der größte Wunsch meiner Chefin war es, einmal SRF Kulturplatz bei uns zu haben. Es ist die wichtigste Schweizer Kultursendung. Es kam dazu und die ganze Sendung wurde bei uns gedreht. Zur Eröffnung ist Stephan Eicher mit Band aufgetreten, einer der bekanntesten Schweizer Musiker und halb Thun und Region waren bei der Vernissage. Es war fantastisch und alle aus unserem Team haben am gleichen Strang gezogen. […]

Kunstmuseum Thun, Innenansicht. Foto: ©Ian G.C. White
Kunstmuseum Thun, Innenansicht. Foto: ©Ian G.C. White.

Kannst du eine lustige Anekdote aus deinem Tätigkeitsfeld erzählen?

Ich finde sehr lustig, dass meine Chefin, die Direktorin des Kunstmuseums, mich immer als Berlinerin vorstellt. Da das Schwäbische aber dem Berndeutschen klangverwandt ist, hören Schweizer das meist sehr bald, dass ich keine Berlinerin bin. Für die ersten zehn Minuten nehmen sie das aber an und die Reaktionen darauf sind sehr unterschiedlich. Oft habe ich das Gefühl, dass mein Gegenüber dann entweder beeindruckt ist oder überfordert und sobald dann das Schwäbische rauskommt, wendet sich das Beeindruckte in Überforderung und aus überfordert wird erleichtert. 

Bei der letzten Ausstellungseröffnung waren alle um mich herum sehr aufgeregt, dass Stephan Eicher im Haus spielen wird. Und kurz vor seinem Auftritt hatten wir immer noch kein »Go« für die Rechte, das Konzert zu filmen und auf Social Media zu verbreiten, insbesondere für externe Interessenten nicht. So stand ich mit französischen und deutschen Journalisten im Rücken da. […] Ich sah Stephan Eicher auf die Toilette verschwinden und hechtete hinterher. Vor der Tür fing ich ihn ab, er hatte noch halbnasse Hände und ich sagte mit deutscher Direktheit: »Sorry für den Überfall, aber dürfen wir das Konzert filmen und rausgeben an die Presse?« Und er fand es ganz bestimmt unsouverän von mir, aber er antwortete sehr cool: »Klar, wir müssen einfach wahnsinnig gut aussehen, wir sind Ü50.« Das fand ich recht lässig.  

Hier noch ein paar Fragen zum Kulturbereich und deiner Work-Life-Balance. Neugierig sind wir auch auf deine Tipps, bezüglich Studium und Kultur.

Wie ist deine Meinung zur finanziellen Situation im Kulturbereich, sowohl in deiner Institution, als auch Gesamtstaatlich (gerne auch auf die Schweiz und Deutschland bezogen, weil du ja in beide Einblicke hast)?

Im öffentlichen Dienst finde ich sie in der Schweiz gut. Ich verdiene über die Stadt Thun gut, bekomme 13. Gehalt und eine Familienzulage. Zudem zahle ich als Nicht-Schweizerin kaum Steuern, weil ich quellenbesteuert werde. Zum Verständnis: Schweizer zahlen im Kanton Bern ca. 20% Steuern auf ihr Brutto-Einkommen, Krankenkasse zahlt man zusätzlich und komplett selbst. Ich zahle angestellt ohne Kinder als Nicht-Schweizer ca. 8% Steuern, mit zwei Kindern ca. 6%. Freiberuflich ist es anders, aber ich arbeite auch hier bereits lange und auch sehr selbstbewusst nicht unter fairen Tarifen. Das Geld muss ich hingegen wie ein richtiger Schweizer versteuern. 

In der Schweiz sind Teilzeitstellen viel gängiger als in Deutschland. Hier muss man aufpassen, dass man nicht zu viele Überstunden anhäuft. Im Öffentlichen Dienst kann man diese nur zeitlich kompensieren, da die finanziellen Mittel begrenzt sind. Generell sind meine Stellenprozente viel zu niedrig für das, was ich mache. Ich liebe die Arbeit dort, aber ich habe am Abend immer das Gefühl, lediglich mit kleinen Decken ganz viele Feuerchen um mich rum halbwegs in Schach gehalten zu haben. Entweder kann man sich damit arrangieren oder beugt sich dem eigenen Anspruch und bleibt länger. Ich habe mich arrangiert und habe selten mehr als 20 Überstunden. Durchschnittlich haben meine Kollegen ca. 90 Überstunden. 

Gesamtstaatlich würde ich die Situation als fairer als in Deutschland beurteilen. Auch Praktika sind nie umsonst.

In Deutschland habe ich von acht Praktika drei bezahlt bekommen.

Als ich mich in der Schweiz in Agenturen beworben habe, habe ich von wenig Gehalt bis ok viel angeboten bekommen. Am Ende habe ich das bekommen, was ich wollte. An anderen Orten bin ich für meine Gehaltsvorstellung nur belächelt worden. 

In Deutschland arbeiten meine engsten Freunde im Kulturbereich und werden für die Branche ebenso gut bezahlt. Man muss immer wissen, was man Wert ist. Ich gehe generell nicht auf Freundschaftspreise ein oder arbeite als »Test« für einen Konzeptansatz umsonst.

Einem Ingenieur würde man auch nicht sagen: »Ja, wir finden dich gut, aber könntest du vielleicht eine Brücke für uns Proberechnen?«

Von Geisteswissenschaftlern wird viel zu oft verlangt, dass sie ihr Können erstmal unter Beweis stellen sollen, obwohl man eine fette Mappe mit Arbeitsproben auf dem Tisch liegen hat. Ich hoffe, dass manche Bewerber da noch selbstbewusster werden und mal auf den Tisch hauen statt »na gut« zu sagen.

Wie empfindest du deine Work-Life-Balance? (Familie, Freizeit, Freunde)

Ich achte sehr penibel auf meine Work-Life-Balance. Sie bedeutet natürlich für jeden etwas anderes. Meine Prioritäten liegen auf 50-50-Arbeitsteilung in der Familie, dreimal Sport pro Woche, alle zwei Wochen einen Abend mit Freunden und ausreichend Zeit für meine Kinder und meinen Partner. Darüber hinaus ist es mir wichtig, so oft wie möglich zu verreisen. Die letzten Jahre haben wir 2x/Jahr als Paar hinbekommen (verlängertes Wochenende), einen großen Urlaub mit den Kindern und 4x Berlin für mich alleine (beruflich & privat).

Für die Schweiz sind wir als Familie hier sehr fortschrittlich. Klassischerweise bleibt die Frau mit Kindern zu Hause, fertig. Es gibt ja nicht mal Mutterschutz vor der Geburt oder Vaterschaftsurlaub – gar mittelalterlich.

Gleichzeitig funktioniert die Wirtschaft viel besser. Ich höre eigentlich zwei Sachen sehr häufig. Entweder, dass ich eine Rabenmutter bin. Oder ich wirklich Glück hatte mit meinem Partner. Beides ist natürlich quatsch. Unsere Kinder sind uns beide das Wichtigste. Und als Familie brauchen wir Geld. Und das Geld verdienen sollte Spaß machen, weil wir dafür eine lange Ausbildung gemacht haben. Dass wir beide 80% arbeiten, abwechselnd die Kinder in die Kita bringen und auch abwechselnd abholen und wir den Haushalt 50-50 aufgeteilt haben, zahlt alles auf eine sehr gute Work-Life-Balance ein. 

Was würdest du Studierenden raten? 

Macht ein Auslandssemester (hab ich leider verpasst, dafür leb ich jetzt woanders), arbeitet neben der Uni (was lernt man schon an der Uni fürs Leben? Eben…) und denkt nicht, die Welt habe auf euch gewartet (i can feel you liebe Geisteswissenschaftler), sondern geht selbstbewusst und mit gesammelten praktischen Erfahrungen aus dem Hörsaal. 

Gibt es einen Ratschlag, den du Absolventen für Vorstellungsgespräche geben kannst?

Ich bin immer gut damit gefahren, dass ich vor einem Gespräch über alles so gut Bescheid wusste, dass ich das Gespräch etwas lenken konnte. Informiert euch über die Mitarbeiter, die Vorgesetzten (Hello Google-Stalking), das Unternehmen und bildet euch schonmal eine Meinung. Wichtig ist auch: Nehmt eine Gehaltsvorstellung mit. Keine vage, sondern eine, die über dem liegt, was wahrscheinlich möglich ist. Es ist noch nie vorgekommen, dass ihr sagt: »3.800«, und dann sagt der Chef: »Ach kommen Sie, machen wir 4.000«. Auch keine Spanne nennen, denn dann wird es immer der untere Wert. Und wenn der Öffentliche Dienst das Gehalt vorgibt, fragt bei ersten Erfolgen nach einem Goody. Einkaufsgutscheine, Monatskarten, das alles ist auch Geld und für die öffentliche Hand »auszahlbar«. 

Ich bin zudem immer wieder überrascht, dass manche Fragen nie aussterben. »Wo sehen Sie sich in fünf Jahren« z.B.: habt darauf eine Antwort, auch wenn ihr noch nie einen Fünfjahresplan hattet. »Was liegt gerade für ein Buch auf Ihrem Nachttisch«: Das wurde ich im Kunstmuseum das letzte Mal gefragt. Klar hätte ich sagen können: »Max Frisch« oder »Elias Canetti«. Mir war es zu blöd, denn ich finde, das sagt überhaupt nichts über die Person aus, die vor einem sitzt. Ich habe damals gesagt: »Da liegt seit zwei Monaten ungelesen »Vegan – Klischee ade«, nicht weil ich vegane Ernährung anstrebe, aber weil ich nicht ohne Fakten gegen etwas sein kann.«

Meine jetzige Chefin fand das lustig genug, um mich als Marketingtante einzustellen.     

Hast du eine Kultur-/Kunstinstitution in deiner Stadt oder in (d)einer Lieblingsstadt, die du empfehlen kannst? (Kann auch ein Café, Museum, Galerie, öffentlicher Park etc. sein.)

Franz Gertsch Museum in Burgdorf (nahe Bern), Fondazione Prada (Mailand), Dampfzentrale (Bern), König Galerie und C/O Galerie (Berlin). 

Vielen lieben Dank für deine (kostbare und rare) Zeit und Mühe. 

Das Interview wurde von Sara stellenweise schweren Herzens gekürzt. Wer Interesse an der ungekürzten Version hat, kann diese hier finden.