Jenseits der Mona Lisa

Das Museum der Universität Tübingen (MUT) zeigt aktuell anlässlich des 500. Todestages von Leonardo da Vinci eine Ausstellung über dessen Forscher- und Entdeckergeist. Im Fokus stehen Nachbildungen von Maschinen, die auf den Entwürfen des Künstlers basieren.

Die Ausstellung EX MACHINA im Museum der Universität Tübingen zeigt Maschinen nach Entwürfen von Leonardo da Vinci.

Beinahe unmöglich erscheint es, den Namen Leonardo da Vinci nicht im Zusammenhang mit den weltberühmten Kunstwerken wie der Mona Lisa im Pariser Louvre oder dem Letzten Abendmahl in der Kirche Santa Maria delle Grazie in Mailand zu fassen. Ganz zu schweigen von dem Hype um das Gemälde Salvator Mundi, welches vor zwei Jahren für eine astronomische Summe versteigert wurde und sich seither im Louvre Abu Dhabi befindet.

Am Eingang zur Ausstellung wird der Hype um Leonardo da Vinci präsentiert. Foto: Sarah Hergöth

Die Ausstellung EX MACHINA – Leonardo da Vincis Maschinen zwischen Wissenschaft und Kunst  hingegen kommt (fast) völlig ohne die Erwähnung jener Blockbuster-Kunstwerke aus und öffnet doch einen außerordentlich spannenden Blick auf den unbeschreiblich wissensdurstigen Forscher und Entdecker Leonardo da Vinci. Das Kuratoren-Team um Prof. Ernst Seidl und Dr. Frank Dürr spürt zusammen mit dem Szenografen Stephan Potengowski jenem Leonardo nach, der es gekonnt vermochte, die Bereiche Wissenschaft, Technik und Kunst miteinander zu verbinden. Genau dieser Aspekt  war es denn auch, was die beiden Kunsthistoriker dazu veranlasste, die Ausstellung im MUT, dem Museum der Universität Tübingen, zu realisieren. Spielen doch Universalität und Interdisziplinarität eine große Rolle im Leitgedanken des Museums.

Mehr als nur ein Künstler

Dass Leonardo di ser Piero da Vinci (wie er eigentlich genannt wurde) weitaus mehr war als ein „reiner“ Künstler, zeigen seine über 6000 Zeichnungen, in denen er seine Ideen und Gedanken festgehalten hat. Hinterlassen hat er diese in Codices und Einzelblättern. Die Ausstellung im Schloss Hohentübingen stellt seine Entwürfe (die Ausstellung enthält Reproduktionen von Leonardos Zeichnungen) und Entwicklungen heraus, welche ihm bis heute den teilweise überhöhten Titel eines Universalgenies einbrachten. Auch hier versucht die Schau den sachlich adäquaten Rahmen zu finden und durch neue Forschungsergebnisse richtigzustellen.

Mit den Entwürfen solcher Kugellager wollte Leonardo Rollen ersetzen,
um Gewicht zu bewegen. Foto: Sarah Hergöth

Die Ausstellung selbst ist in vier Blöcke unterteilt und zeigt Maschinen, die nach den Entwürfen, Skizzen und Zeichnungen Leonardo da Vincis von italienischen Handwerkern aus Materialien gefertigt wurden, die schon in der Zeit der Renaissance gebräuchlich waren. Waren die Entwürfe unvollständig, wurden sie von den Handwerkern soweit sinnvoll ergänzt. Denn Leonardo plante keineswegs umsetzbare Maschinen. Und, so das Ergebnis zahlreicher Forschungen: die Entwürfe sind teilweise keine originären Schöpfungen des Künstlers. Er selbst stützte sich bereits auf Erfindungen und Forschungen, die zu seiner Zeit bekannt waren. Trotzdem darf nicht unterschlagen werden, worum es ihm dabei wirklich ging: Durch seine Forschungen konnte er zahlreiche bereits existierende Erfindungen miteinander kombinieren und vor allem auch weiterentwickeln.

Ingenieurskunst vom Feinsten?!

Im ersten Block der Ausstellung werden Leonardos Maschinenentwürfe vorgestellt, die hauptsächlich dazu dienen sollten, die Optimierung der menschlichen und tierischen Körperkraft voranzutreiben. In seinem Madrider Codex, der übrigens erst im Jahr 1965 wiederentdeckt wurde, versammelte er unterschiedlichste Gedanken in Zeichnungen, die Probleme der praktischen und theoretischen Mechanik angehen. Neben Entwürfen für Brücken, Kräne, oder verschiedenste Getriebe, entwickelte er so auch ein sogenanntes Hygrometer, mit welchem die Dichte der Luft gemessen werden sollte. Dabei handelt es sich um eine Art Waage, die mit unterschiedlichen Materialien mit dem gleichen Ursprungsgewicht befüllt werden sollte. Durch Niederschlag oder Veränderungen in der Luft stellte man fest, wie sich die Materialien unterschiedlich verhalten.

Die Abbildung zeigt das Holzmodell eines Zahnstangengetriebes, 1998 – 1999,
etwa 160 x 60 x 80 cm, italienische Werkstatt. Foto: Sarah Hergöth

Es wird Wagen geben, die von keinem Tier gezogen werden und mit unglaublicher Gewalt daherfahren.

Leonardo da Vinci

Neben Maschinen zur Verbesserung der Mechanik entwickelte Leonardo auch unterschiedliche Ideen für Geräte zur menschlichen Fortbewegung, darunter Vorläufer von Automobilen oder Fahrrädern. Er selbst war fasziniert von der Bewegung und dem Gedanken, den menschlichen Körper in der Luft fortbewegen zu können. Als Studienobjekte dienten ihm vorrangig Tiere, wie Vögel oder auch Libellen, wie er sie in seinem Codex Turin festgehalten hat. So entstanden unter anderem Entwürfe, in denen sich Leonardo konkret auf das Vermögen maschineller Flügelvarianten konzentrierte und wieder andere, in denen er an spezifischen Apparaten und Maschinen zum Fliegen arbeitete. Im Jahr 1505 unternahm er selbst einen Flugversuch mit einem Hängegleiter auf dem Monte Ceceri nahe Florenz. Leider blieb es nur bei diesem Versuch.

Abbildungen verschiedener Holzmodelle, die nach Entwürfen von Leonardos Ideen zur Fortbewegung entstanden sind. Foto: Sarah Hergöth

Ein Pazifist entwickelt Kriegsmaschinen

In den 1480er-Jahren beschäftigte sich Leonardo da Vinci vorrangig mit Ideen und Entwürfen für militärische Maschinen und Einsatzfahrzeuge. Der Codex Atlanticus weist zahlreiche Zeichnungen für diverse Katapulte, Streitwagen, Sturm- und Feldwaffen auf, die zum Töten vieler Menschen gedacht waren. Dies mag umso erstaunlicher klingen, wenn bedacht wird, dass Leonardo ein erklärter Kriegsgegner war. Allerdings hat es seine Kriegskunst nicht weiter als bis auf das Papier gebracht. Es existieren keine Belege dafür, dass aus den Zeichnungen tatsächlich eingesetzte Maschinen entstanden sind. Und auch hier finden sich nicht nur originäre Erfindungen des Künstlers. Wiederum nutzte er bereits seit Jahrhunderten gebräuchliche Maschinen, wie den Sichelwagen, den schon die Armee von Alexander dem Großen rund 300 Jahre v. Chr. bekannt war.

Die Zeichnung als Ausdruck von Gedanken

Mit einer Anzahl von über 6000 Exemplaren kommt der Zeichnung in Leonardo da Vincis Œuvre ganz klar ein besonderer Stellenwert zu. Traditionell bietet dieses Medium den Künstlern vor allem die Gelegenheit schnell und mit einfachen Mitteln ihre Ideen und Gemälde vorzubereiten, zu skizzieren. Zumindest die Zeichnungen, die sich in Leonardos Werk mit Entwürfen für Maschinen beschäftigen, erfüllten allerdings einen anderen Zweck: Sie dienten dazu, die Denkprozesse des Künstlers zu visualisieren und für ihn begreifbar zu gestalten. All seine theoretischen Überlegungen fließen über die Führung des Zeichenstifts auf dem Papier zusammen und formieren so seine Lösungsvorschläge und Ideen.

Im MUT kann jeder Besucher selbst testen, wie dies funktionieren kann. Im letzten Teil der Ausstellung wurden dafür extra kleine Tische installiert, die die Besuchenden dazu einladen, selbst der Denkweise Leonardos nachzuspüren.

Die Verbindung von Wissenschaft, Technik und Kunst

Interessanterweise sind die Exponate der Ausstellung im Rittersaal des Museums platziert, welcher sonst vorrangig Stätte für das Arsenal von Abgüssen antiker Skulpturen des MUT ist. Der Blick der Besucher*innen kommt also nicht umhin, die Skulpturen und Maschinen in einen Dialog miteinander zu setzen und verbindet so ganz unterschwellig antike Hochkunst mit den feinsinnig erdachten Skizzen und Entwürfen des Wissenschaftlers Leonardo da Vinci.

Holzmodell mit Leinentuch eines Hängegleiters, 1998 – 1999, 80 x 650 x 230 cm, italienische Werkstatt. Foto: Sarah Hergöth

Anlass für die Ausstellung war übrigens der 500. Todestag des Künstlers am 2. Mai 2019. Nach Ende der Schau wandern die Exponate weiter durch Europa. Wer den Aufstieg zum Schloss Hohentübingen bisher nicht geschafft hat: es lohnt sich definitiv. Einerseits, um eine andere Seite des Künstlers zu entdecken und andererseits auch, weil die Kuratoren sehr darauf bedacht waren, eine sachliche Darstellung – besonders unter Einbezug jüngster Forschungsergebnisse des bekanntesten Renaissance-Menschen Leonardo da Vinci – zu realisieren. Die Idee des Erfindens und Entdeckens spiegelt sich auch in der Präsentation der Maschinen und Entwürfe in der Ausstellung wieder. Teilweise werden auch die Besuchenden dazu aufgefordert, die Maschinen auszuprobieren. Der Ausstellungsraum nimmt Werkstattcharakter an, formiert sich zur Ideenschmiede und bleibt dennoch oder gerade deshalb dem Auftrag einer Institution, wie das MUT es ist, verhaftet.

Wer die Schau noch sehen mag, hat noch Zeit bis zum 1. Dezember im Museum der Universität Tübingen. Für Studierende der Eberhard Karls Universität Tübingen ist der Eintritt frei.