Gedanken zu: Kitsch

„Das ist ja schon sehr kitschig…“ – Sollte man solche Aussagen eigentlich treffen? Ich argumentiere, dass die Wertung „Kitsch“ auf einem hierarchischen Kulturverständnis aufbaut. Künstler*innen verwenden gezielt kitschige Formen, um diese Ausschlusskriterien sichtbar zu machen.

Die Reihe Gedanken zu soll uns als Essay eine Möglichkeit geben, unsere Gedanken frei zu formulieren und dabei auch ein bisschen zu provozieren. Wenn Ihr mit Eurer eigenen Meinung zum Thema des Essays mit uns ins Gespräch kommen wollt, könnt Ihr gerne einen Kommentar unter dem Text hinterlassen.

Kitsch Art

„Das ist ja schon sehr kitschig…“ – Diese spontane Einschätzung habe ich auf einer Vernissage mit Drucken von Salvador Dalí gehört. Zugegebenermaßen bebildert Dalí in den ausgestellten Arbeiten die Bibel und blieb dabei auch meist bei den erwartbaren Bildmotiven, die er auch farbenfroh und figürlich ausführt. Aber reicht das schon, um den Surrealisten-Großmeister als Kitsch zu verwerfen?

Auch andere Künstler*innen erhalten den fragwürdigen Stempel Kitsch – von Laien gleichermaßen wie von Experten. Autor*innen machen sich in Büchern etwa unter dem Titel Kitsch. Balsam für Herz und Seele Gedanken zu einem Klassifikationssystem des Phänomens. Zwischen den (übrigens großartig glitzernden) Buchdeckeln des eben genannten Buches summiert die Autorin Gabriele Thuller unter der Überschrift Kitsch Art etwa auch Kehinde Wiley zu den kitschigen Künstler*innen. Und wer könnte widersprechen: Der Hintergrund seiner Arbeit The Three Graces, 1881-1956, die wir in der Comeback Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen bewundern konnten, erinnert schon stark an eine Blumentapete, oder?

Kitsch! – Ein Werturteil

Was also versteckt sich denn dann genau hinter dem Etikett Kitsch? Wenn man sich kurz Zeit nimmt und darüber nachdenkt, kommt man schnell zu der Erkenntnis, dass es sich dabei mitnichten nur um ein spontanes (und somit vielleicht auch ein unbedenkliches) Bauchgefühl handelt. Vielmehr verbindet sich mit der Zuordnung zur Kategorie Kitsch ein Werturteil. Und nicht nur irgendein Werturteil, sondern ein abwertendes!

Genau lässt sich die Etymologie des Wortes wohl nicht klären. Angebote wären kitschen als „den Straßenschlamm zusammenscharren, glattstreichen“, also Malerei = Geschmiere und kitschen als „verhökern, billig anbieten“, also Ware, die nicht viel wert ist. Diese beiden Herkunftsangebote passen in ihrer Bedeutung in den Kunstmarkt und wurden dort auch spätestens seit 1880 benutzt, um schnell hergestellte und erschwingliche Objekte zu bezeichnen.

Ein Blick in die Ästhetischen Grundbegriffe zeigt: Kitsch ist zu unintellektuell, zu kommerziell, zu sentimental und zu stereotyp, als dass er Kunst sein könnte. Kitsch, das finden Menschen gut, die keine höhere Bildung erhalten haben und die ihren Geschmack nicht reflektieren. Das Urteil Kitsch ist also nicht einfach nur abwertend gemeint, sondern bezieht sich auf die soziale Klasse. Mit der Wertung Kitsch hebt man sich von den Menschen ab, die eine entsprechende Ästhetik unironisch gut finden (manchmal gerade indem man den Kitsch auf ironische Weise gut findet). Vielleicht könnte man zugespitzt sogar sagen, dass Kitsch im Allgemeinen nicht dem europäischen Kunstverständnis entspricht.

Kitsch in der Kunstgeschichte

Auch in die Kunstgeschichte, bzw. in die Kunsttheorie findet Kitsch Einzug. Einer der frühesten Theoretiker des Feldes ist Clement Greenberg, der 1939 einen Essay mit dem Titel Avantgarde and Kitsch veröffentlichte. Darin unterscheidet er die Gegensätze Kitsch und Kunst, wobei erstes zwar ein Konsumprodukt der Arbeiterklasse sei, damit aber gerade bestens dafür geeignet, Emotionen zu erregen. Ein weiterer wichtiger Name ist Gillo Dorfles, der mit Kitsch. The World of bad Taste (1968) eine ganz ähnliche Kategorisierung und Zusammenstellung vornimmt, wie die anfangs genannte Gabriele Thuller. Den beiden ist gemein, dass auch sie Kitsch im negativen Sinne verwenden, um über Kunst zu sprechen.

Ganz anders verhalten sich die Künstler*innen zu dieser Zeit. So etwa Asger Jorn, der sich ganz bewusst einer kitschigen Formensprache bedient. Bei ihm hat die bunte und einfache Ästhetik Programm: Er will so die Kunst für ein breiteres Publikum interessant machen, das mit Kunstrichtungen wie dem Abstrakten Expressionismus eines Jackson Pollock oder dem Minimalismus eines Donald Judd nichts anfangen kann. Dabei bleibt Jorn aber der wohlmeinende Lehrer, der das Volk mit seiner Kunst erzieht und begibt sich nicht wirklich auf Augenhöhe.

Kehinde Wiley, The Three Graces, 1881-1956, 2012, Öl auf Leinwand, 213 x 282 cm, Aussstellungsansicht in der Ausstellung Comeback in der Kunsthalle Tübingen,Foto: Sara Heinzelmann-Wilhelm
Kehinde Wiley, The Three Graces, 1881-1956, 2012, Öl auf Leinwand, 213 x 282 cm, Foto: Sara Heinzelmann-Wilhelm

Kitsch ist Kunst

Anders macht das Kehinde Wiley. Bezeichnet man ihn als kitschigen Künstler, geht man ihm auf den Leim. Auch er legt es darauf an, dass seine Werke, die auf bekannten Historiengemälden des westlichen Kanons beruhen, als Kitsch gelesen werden. Er benutzt den floral ornamentierten Hintergrund, um alternative Ästhetiken aufzuzeigen, die eben im Kanon nicht vorkommen. Als etablierter Teil des Kunstsystems spielt er offensiv mit der Kategorie Kitsch und enttarnt so diejenigen, die seine Kunst abtun. Auf Augenhöhe gibt er Stimmen Ausdruck, die sonst von der Kunstgeschichte unterdrückt wurden.

Hinter dem Werturteil Kitsch steht ein hierarchischer Kunst- bzw. Kulturbegriff, der bei genauerem Nachdenken nicht haltbar ist. Künstler*innen sind sich dessen bewusst und indem sie die kitschige Ausdrucksformen aufnehmen, reflektieren sie diese im System inhärenten Ausschlusskriterien. Es lohnt sich wohl das eigene Bauchgefühl Kitsch (ganz egal, ob es direkt negativ oder (ironisch) positiv) zu hinterfragen und es dann zu beseitigen. Gerade kitschige Kunst zeigt, dass sie als Kunst valide ist und dass eine demokratische Gesellschaft viele unterschiedliche Ästhetiken als gleichwertig akzeptieren können sollte.

Einige Bilder in diesem Beitrag wurden aufgrund des Urheberrechts entfernt. (Januar 2020)